Der Vortrag von Peter Sloterdijk, Regeln für den Menschenpark, Ein Antwortschreiben zum Brief über den Humanismus, wurde gehalten beim internationalen Symposion "Jenseits des Seins – Exodus from Being, Philosophie nach Heidegger" im Rahmen der Schloss Elmau Symposien zur Philosophie am Ende des Jahrhunderts, in Zusammenarbeit mit dem van Leer Institut und dem Franz Rosenzweit Center, Jerusalem, 16.-20. Juli 1999 auf Schloss Elmau/Obb. Dieser Vortrag Sloterdijks löste in den deutschen Feuilletons ein ähnliches Rumoren aus wie einst der "Anschwellende Bocksgesang" von Botho Strauß im Jahr 1993 – und es ist anzunehmen, daß sein Autor es durchaus darauf abgesehen hatte; er verbindet darin "auf höchster Ebene" , wie er sagt(1) – und wo es daher auch recht wolkig-neblig zugeht – Kritik am bisherigen Humanismus mit gewagten Andeutungen auf Basis der neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse der Gentechnologie. Zuerst der Versuch, den Gedankengang Sloterdijks im Überblick wiederzugeben: Zu Beginn wird als eine Art roter Faden die Entwicklung des Humanismus und gar der gesamten menschlichen Tradition verkürzt auf eine literarische Veranstaltung von Briefschreibern in Buchform über die Zeiten hinweg, wo sich seit Griechen und Römern bis zu den europäischen Nationen Einzelne "Briefe schreiben", in deren Reigen von Platon über Cicero zu Heidegger und Nietzsche sich Sloterdijk gerne stellt. Nach der Konstatierung des Endes dieser literarischen Tradition – heraufgeführt durch die neuen elektronischen Medien – und damit des Endes des Humanismus alter Form wird letzterer endlich definiert als "die Entwilderung des Menschen, und seine latente These lautet: Richtige Lektüre macht zahm." In "der Humanismus-Frage ... geht [es] ... um nicht weniger als um eine Anthropodizee – das heißt eine Bestimmung des Menschen angesichts seiner biologischen Offenheit und seiner moralischen Ambivalenz." Daher nun werden verschiedene Ausformungen des Humanismus in der Interpretation Sloterdijks vorgeführt; er beginnt mit Heideggers "Überbietung" des hergebrachten Begriffs in dessen Schrift "Über den Humanismus", in der Heidegger den schrecklichen Verlauf der Geschichte insbesondere des gerade zusammengestürzten "Dritten Reiches" als das Ende des Humanismus in seiner alten Form deutet – er, der bei dessen Inthronisierung selbst nicht ganz unbeteiligt war und sich selbst so nun exkulpieren will. Daher interpretiert Heidegger nun diesen Geschichtsverlauf als die direkte Folge des hergebrachten Humanismus. In seiner metaphysischen Sehweise kann der neue Gehalt eines zukünftigen Humanismus nur aus einer sich neu eröffnenden "Lichtung des Seins" folgen, der sich der Mensch selbst gegenüber bereit halten müsse.(2) Eine rational von Menschen erstellte Ethik ist für ihn ein "Gemächte menschlicher Vernunft. Wesentlicher als alle Aufstellung von Regeln ist, daß der Mensch zum Aufenthalt in die Wahrheit des Seins findet. Erst dieser Aufenthalt gewährt die Erfahrung des Haltbaren."(3) Von da aus geht Sloterdijk auf Nietzsche und dessen "Übermenschen" zurück und bringt damit den Züchtungsgedanken ins Spiel. Es wird so der Gedanke eingeführt, daß auch der Humanismus selbst nichts anderes sei als eine bestimmte "Domestikationsweise", daß es mithin darum gehe, welches "Zähmungs- und Züchtungsmodell" das für den Menschen wohl angemessene sei, insbesondere angesichts der Tatsache des Scheiterns des "alten" Humanismus: Mit Nietzsche, aber auch in Anbetracht der inhumanen Geschichte des 20. Jahrhunderts ist die hergebrachte Form des Humanismus selbst in Frage gestellt. Dazu träten nunmehr die Möglichkeiten der modernen Gentechnik, angesichts derer "wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren." Mit der weiteren Folge, "daß Humanitas nicht nur die Freundschaft des Menschen mit dem Menschen beinhaltet; sie impliziert auch immer – und mit wachsender Explizitheit –, daß der Mensch für den Menschen die höhere Gewalt darstellt."(4) "Ob aber die langfristige Entwicklung auch zu einer genetischen Reform der Gattungseigenschaften führen wird – ob eine künftige Anthropotechnologie bis zu einer expliziten Merkmalsplanung vordringt; ob die Menschheit gattungsweit eine Umstellung vom Geburtenfatalismus zur optionalen Geburt und zur pränatalen Selektion wird vollziehen können – dies sind Fragen, in denen sich, wie auch immer verschwommen und nicht geheuer, der evolutionäre Horizont vor uns zu lichten beginnt." Von da aus greift Sloterdijk nun noch weiter zurück zu Platon und dessen Dialoge "Politikos" und "Politeia" – also auf die ersten Überlegungen in der Geistesgeschichte zu einer durchgehend rationalen Gestaltung des Menschseins im Rahmen einer platonisch gefaßten "Gerechtigkeit"; Platon konstatiert dabei die Ungleichheit der Menschen im Hinblick auf ihr jeweiliges Wesen und Wissen, überdenkt aber auch den Umstand, ob nicht der Mensch an sich selbst diejenigen Züchtungsregeln beobachten sollte, die er bei der Zucht von Tierarten ganz selbstverständlich vollzieht. Die Leitung seines Projekts legt er dabei in die Hände jener "weisen Könige", die noch in einer Art direkter Beziehung zur Gottheit stehen. Ohne diese platonischen Gedanken zustimmend oder ablehnend zu kommentieren – und damit der Interpretation Vorschub leistend, daß hier zumindest etwas Bedenkenswertes gesagt sei: warum sonst würde es referiert? – schließt Sloterdijk geheimnisvoll raunend damit, daß wir uns heute in einer recht ähnlichen Lage sehen, wie sie Platon damals angedacht hatte: wir hätten nunmehr tatsächlich die Fähigkeit, mit der Gentechnik züchtend in die Keimbahn des Menschen einzugreifen, aber die "Weisen" seien uns leider inzwischen ausgegangen, und auch die alten "Briefe" erreichten uns Heutige nicht mehr, vielmehr lägen sie ungelesen in Archiven; und "für die Wenigen," zu denen sich Sloterdijk fraglos wiederum zählt, "die sich noch in den Archiven umsehen, drängt sich die Ansicht auf, unser Leben sei die verworrene Antwort auf Fragen, von denen wir vergessen haben, wo sie gestellt wurden." Bringen wir zunächst den Text auf seinen nackten Gehalt: Humanismus in seiner hergebrachten Form wird als Zähmungsprojekt des Menschen am Menschen mittels Weitergabe der literarischen Tradition dargestellt; dieses Projekt ist aus zwei Gründen am Ende: erstens greifen angesichts der neuen Medien die alten "Briefe" nicht mehr, zweitens ist das Projekt selbst gescheitert. Letzteres wird belegt mit Heidegger und Nietzsche: dieser "Althumanismus" führt selbst zum Inhumanismus, weil er sich selbst nicht richtig hinterfragt hat, sondern auf dem falschen Seins- und Idealdenken der Griechen beruht. Diese Form der Selbstdomestikation als "Humanismus" ist vielmehr selbst nur eine unter mehreren denkbaren Formen von "humanen Strategien". Platon schon hat die das Menschengeschlecht steigernde Selbstzüchtung angedacht, und wir Heutigen stünden angeblich angesichts unserer gentechnischen Fähigkeiten einschließlich einer zukünftigen "Merkmalsplanung" sowie des Scheiterns der alten Form des Humanismus wiederum vor dessen alter Frage: Welchen Menschen wollen wir? Bevor der Lärm geschildert wird, den dieser Text in den literarischen Medien, den Feuilletons(5), auslöste, möchte ich ganz kurz auf die zwei grundlegenden Denkfehler hinweisen, die diese "geistreiche Schwiemelei"(6) enthält: – Der Humanismus ist mehr als ein "Projekt zur Entwilderung des Menschen", das seine atavistische Wildheit bezähmen soll. In ihm drückt sich vielmehr eine unhintergehbare Selbstwerdung des Menschen aus, in der er sich selbst als den Menschen der Vernunft mit all deren Werten, aber auch deren Fehlern hervorbringt. Es gibt nicht "mehrere Modelle" des "Humanen", sondern nur einen einzigen Weg der epigenetisch-kulturellen Koevolution am Gängelband der vorhandenen Tradition, die sich nicht abstreifen läßt wie zu klein gewordene Kleider. Der Humanismus als Ausdruck der über 2500 Jahre mühsam errungenen grundlegenden menschlichen Werte muß Grundlage des Menschseins bleiben, oder man betreibt Verrat an dieser Vernunft, wie es Nietzsche in seiner "Übermenschen"-Philosophie und Heidegger in seiner Rektoratsrede tat – und in seinem Humanismus-Brief nur verschleierte. – Schlimmer noch als dieses zur Disposition-Stellen des Humanen durch Sloterdijk in der Nachfolge Nietzsches und Heideggers ist die völlige Verkennung des Wesens der Gentechnik und des Wesens der menschlichen Tradition: die Eingriffsmöglichkeiten der modernen Naturwissenschaft in die DNS von Pflanze, Tier und Mensch hat aber auch rein gar nichts mit der epigenetisch-kulturellen Koevolution des Menschen zu tun. Es gibt kein "Gen für Moral", der Humanismus ist ein Projekt der Kultur, das himmelweit von der genetischen Natur des Menschen entfernt ist. Zu glauben, daß mit gentechnischen Methoden kulturelle Veränderungen bewirkt werden könnten, ist geradezu hanebüchen. Indem Sloterdijk beides verquickt, disqualifiziert er sich mit seinem Geraune in eher schon bedauernswerter Art und Weise. Viel wichtiger wäre jener Punkt gewesen, den Sloterdijk links liegen läßt: Wie ist es um das Wesen der Tradition und deren Zusammenwirken mit der epigenetisch-kulturellen Koevolution der einzelnen Individuen bzw. ganzer Populationen bestellt? Das eigentliche Problem besteht hier nämlich darin, daß gerade die Zusammenstellung dessen, was die Tradition ausmacht, nie und nirgends bewußt und rational gesteuert erfolgt, sondern daß hier ebenso wie im Marktgeschehen die berühmte "unsichtbare Hand" zu walten scheint! Vielleicht ist es nicht uninteressant zu wissen, wie lange Sloterdijk in dieser Weise – unbeanstandet und veröffentlicht – denkt und woher er seine "Weisheiten" – offenbar unbesehen – übernommen hat; im oft durchaus segensreichen Internet habe ich unter www.rightleft.de einen Sloterdijk-Text entdeckt.(7) Dort heißt es unter anderem von der Hand Sloterdijks: Die USA besitzen, wie es scheint, ein unerschöpfliches Reservoir an think-big-Talenten, die im Plauderton über Planetarisches und Menschheitsgeschichtliches reden können, ohne unseriös zu wirken. Ein sympathisches Beispiel bietet Leon Festingers Buch Archäologie des Fortschritts, Frankfurt a. M.-New York 1985 (englischer Titel: The Human Legacy), an dessen Ende sich eine Spekulation über die biologischen Perspektiven menschlicher Evolution findet: »Eine neue Spezies, die von der unseren nicht verschiedener wäre als wir vom Homo sapiens [also nur geringfügig, Zusatz P.S1.), könnte, wenn sie über mehr Einbildungskraft, eine effizientere Sprache und ein sie zum raschen logischen Denken befähigendes Nervensystem verfügte, mit den von uns geschaffenen technischen Zivilisationen fraglos sehr viel besser fertig werden. Die Entwicklung einer solchen neuen Spezies hinge keineswegs von umfassenden Mutationen zahlreicher Strukturgene ab. Wahrscheinlich würden einige scheinbar geringfügige Abänderungen der Aktionsmechanismen der Gene völlig genügen... Die Frage lautet demnach, ob im Fall solcher Modifikationen genetischen Materials ein natürlicher Ausleseprozeß diese neue Gattung befähigen würde, die Herrschaft anzutreten... Meine eigene Begrenztheit macht es mir unmöglich, diese Frage auf irgendeine mich überzeugende Weise zu beantworten. Ich vermag nicht einmal zu erkennen, ob sich derzeit überhaupt irgendwelche Ausleseprozesse in der Menschheit vollziehen und wenn ja, in welche Richtung sie tendieren. Ich hoffe jedoch, daß sie stattfinden. Ich hoffe, daß in fünf- oder zehn- oder zwanzigtausend Jahren eine neue uns an Leistungsfähigkeit überlegene menschliche Spezies existeren wird« (ibid. S. 233). Ist das ein neuro-rassistisches Programm? Offenbar nicht, denn wenn auch die »biologische« Tonart dieser Überlegungen unüberhörbar ist, so handelt es sich doch ebenso offensichtlich um einen universalistischen und generösen Biologismus, der auf eine intelligentere Menschheit im ganzen zielt, nicht auf eine neurobiologische Apartheid oder eine Klassenherrschaft der Intelligenzmutanten über die Altmenschen heutigen Typs. Aber was geschähe in den Übergangsjahrtausenden? Das Schlimmste ist möglich, aber auf jeden Fall nichts Schlimmeres als das, was geschieht, wenn es keine Selektion von intelligenteren und generöseren Menschen gibt. Genau in diesem Sinne und genau so empörend wie Sloterdijk – im Unterschied zu Festinger, der hier auf "einen natürlichen Ausleseprozeß" "hofft" – hatte sich schon Nietzsche ausgedrückt; das Heft soll vom Menschen selbst in die Hand genommen werden, auch schlimmste Folgen werden akzeptiert: der "kleine" und "verächtliche Herdenmensch" mag ruhig untergehen, wenn dabei nur die "Aufzucht" "großer Exemplare" gelingt. Wie "generös"! Wir hören bereits hier denselben Ton, wie er sich auch im Menschenpark-Text hören läßt, die gleichen Irrtümer, die gleichen jetzt angeprangerten Begriffe – damals noch ohne Echo. Zwar gebührt einigen Stellungnahmen des Feuilletons eine ähnliche Kritik wie dem Sloterdijkschen Text, wenn er sich seine "Briefschreiber" und die Gentechnologie so zurechtbiegt, wie allein er sie brauchen kann: Man nimmt die Dinge nicht wahr, wie sie wirklich da stehen, sondern holt heraus, was man selbst erst in sie hineinliest – wie aus dem bisher Vorgetragenen deutlich werden sollte, ist der eigentliche Gehalt des Sloterdijkschen Textes teils falsch, teils "höchst literarisch", besser "dunkel", also eher "dichterisch unverbindlich". Und so erstaunt der recht einhellige Aufschrei von der FAZ bis zur ZEIT, also über alle "Lager" hinweg. Was war geschehen? Zunächst nicht viel. Frankfurter Rundschau und SZ hatten zwar über die Rede vom Juli berichtet, aber der "Sturm im Wasserglas" begann erst mit den Artikeln in der ZEIT und im SPIEGEL Anfang September. Thomas Assheuer titelte in der ZEIT vom 2. September 1999: "Der Philosoph Peter Sloterdijk fordert eine gentechnische Revision der Menschheit" und faßt seine Quintessenz des "Menschenpark"-Textes so zusammen: "Mit einem Paukenschlag möchte Sloterdijk die Feindseligkeiten zwischen Philosophie und Naturwissenschaften beenden, um Wissen und Geist, Philosophie und Naturwissenschaften zu versöhnen. Ihm schwebt eine demokratiefreie Arbeitsgemeinschaft aus echten Philosophen und einschlägigen Gentechnikern vor, die nicht länger moralische Fragen erörtern, sondern praktische Maßnahmen ergreifen. Diesem Elitenverbund fällt die Aufgabe zu, mithilfe von Selektion und Züchtung die genetische Revision der Gattungsgeschichte einzuleiten. So wird Nietzsches schönster Traum bald wahr: die Zarathustra-Fantasie vom Übermenschen." Unter der Überschrift "Züchter des Übermenschen" im Spiegel vom 6.9.1999 schlägt Reinhard Mohr in dieselbe Kerbe: Der Philosoph Peter Sloterdijk propagiert "pränatale Selektion" und "optionale Geburt". Gentechnik als angewandte Gesellschaftskritik. Seine jüngste Rede über "Menschenzucht" trägt Züge faschistischer Rhetorik. Wie sehr Sloterdijks Denken schon immer von Heilsvisionen Nietzschescher Art geprägt ist, belegt Mohr mit einem Zitat aus der 1983 erschienenen "Kritik der zynischen Vernunft", dem Werk, das ersteren berühmt gemacht hatte: "Jede bewusste Sekunde tilgt das hoffnungslose Gewesene und wird zur ersten einer Anderen Geschichte." Wem fielen da nicht Nietzsches "Versuche" ein, "auf eine Sekunde den Übermenschen zu erreichen"? Mohr liest nun den "Menschenpark"-Text als Illustration dieser "Anderen Geschichte", wie die Menschheit aktiv diese realisieren sollte. Der einst linke Vordenker Sloterdijk, Liebling erlesener Debattierzirkel und zeitgeistsatter Fernseh-Talkshows, rede ungeniert von "Menschenzucht" und vom "Diskurs der Verschränkung von Zähmung und Züchtung", kurz: von der gezielten genetischen Selektion unter Führung einer kulturellen Elite. Er referiert seine Auffassung des Textes folgendermaßen: Auch wer wenig mehr verabscheut als klischeehafte ideologische Denunziationen und beim Begriff der "Selektion" nicht nur an die "Eugenik" der Nazis und die Rampe von Auschwitz-Birkenau denkt, sieht sich genötigt, in Argumentation und Sprache Sloterdijks faschistische Anklänge auszumachen. Sein Hinweis, über weite Strecken nur die Positionen seiner philosophischen Lehrmeister Platon, Nietzsche und Heidegger referiert zu haben, verfängt nicht und führt in die Irre. Denn unzweifelhaft paraphrasiert er, trotz relativierender Kritik hier und da, entscheidende Motive seiner Meisterdenker in pointierter, auch zustimmender Weise – ob es um Platons "züchterisches Königswissen" geht, wie "die ungeeigneten Naturen auszukämmen" seien, um Nietzsches "Übermenschen" oder Heideggers zivilisationsfeindliche These, "dass nicht der Mensch das Wesentliche ist, sondern das Sein als die Dimension des Ekstatischen der Eksistenz". Keine Frage, Sloterdijk spricht Klartext in eigener Sache: Nur in einer "Grundlagenreflexion über Regeln für den Betrieb von Menschenparks", nur in genetisch "wirkungsvollen Verfahren der Selbstzähmung", behauptet er, könne die "alltägliche Bestialisierung der Menschen in den Medien der enthemmenden Unterhaltung" eingedämmt werden. Der abendländische Humanismus hingegen, dessen Bildungsideal an Lektüre und Aufklärung gebunden war, habe das "barbarische Potenzial" und die "aktuellen Verwilderungstendenzen" nicht überwinden können: im Gegenteil. ... Sloterdijk [steht] für eine Gruppe linker Intellektueller, die ihre eigene Desillusionierung nicht aushalten und in den Wahn flüchten. Jetzt glauben sie nicht mehr an die Weltrevolution, den Sozialismus oder den Humanismus, sondern an die "nationale Wiedergeburt Deutschlands", an die schädlichen Einflüsse des globalen "Amerikanismus" und den "Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den Großzüchtern des Menschen", "zwischen Humanisten und Superhumanisten, Menschenfreunden und Übermenschenfreunden" (Sloterdijk). Gentechnologie statt Gesellschaftskritik: Der Uterus wird zum Utopieersatz. ... Neu und ungeheuerlich ist die philosophisch drapierte Aggressivität, mit der, den fälligen Untergang des Abendlandes vorausgesetzt, die Wiedergeburt der Menschheit aus dem Geiste des Reagenzglases gefordert wird – im Bündnis zwischen geistiger Elite und den neuesten Erkenntnissen der Gen- und Biotechnologie. Eine faschistische Horrorvision, gegen die jeder beliebige Zynismus des Zeitgeists sich noch wie ein Ausweis von Aufklärung und Menschenfreundlichkeit ausnimmt. Objektiv läßt sich sagen, daß sowohl Assheuer als auch Mohr sicherlich nur Teile des "Menschenpark"-Textes auswerten, im Hinblick auf eine ganz bestimmte Perspektive, und keineswegs aus jener "Höhenperspektive", in der allein Sloterdijk diesen "Anspruch des Seins" erfahren und gelesen haben will. Sie verkürzen – und insoweit sicher zu Recht – die Aussagen Sloterdijks auf deren "praktischen" Gehalt, soweit sich denn ein solcher daraus überhaupt entnehmen läßt. Auf diese Attacken antwortete Sloterdijk mit zwei offenen Briefen an Assheuer und – völlig überraschend – an J. Habermas in der ZEIT vom 9. September: An ersteren schreibt er unter anderem: "Es wäre mir aber lieb, wenn Sie mir den Text des von Ihnen rezensierten Vortrags zur Überprüfung überlassen könnten. Mein Wunsch nach einer Gegenlektüre ist leicht erklärt: Ich habe bei mir zu Hause eine Version des von Ihnen fabelhaft dämonisierten Textes liegen, die um vieles blasser ist als Ihr triumphales Referat. Normalerweise suche ich mir die Leute, die mich besser verstehen als ich mich selbst, nach Möglichkeit selber aus, aber mir scheint, dass ich in Ihrem Fall eine Ausnahme machen muss. Gern würde ich Ihr Exemplar mit dem meinen vergleichen, um zu sehen, ob wir dieselben Vorlagen benutzen. In meinem Text heißt es zum Beispiel an einer Stelle, dass Nietzsches züchterische Visionen hysterisch und unangemessen. waren und dass sein Konzept des Übermenschen für uns keine Bedeutung mehr haben kann, aber dass er nichtsdestoweniger – wie Plato – ein Zeuge bleibt für das Aufdämmern gewisser "pastoraler" Aspekte in Fragen nach der Fortpflanzung, Erziehung, Medikalisierung und Selbstoptimierung menschlicher Wesen. Ein anderes Beispiel: In meinem Exemplar steht, dass angesichts der aktuellen Durchbrüche in der. Biotechnologie ein moralischer Codex formuliert werden muss (ich sage, etwas umfassender, für die "Anthropotechniken") – und ich füge, zu Ihrem Verständnis, hinzu, dass in einem solchen Codex, unter anderem, die Grenze zu ziehen ist zwischen legitimen genmedizinischen Optimierungen für die Einzelnen und illegitimen Biopolitiken für Gruppen. Sie haben offenbar eine surrealistische Version vorliegen, weil Sie lesen, es werde für eine umfassende elitistische Neuzüchtung der Gattung plädiert. In meinen Ohren klingt das nach Science-Fiction, mit biologischer Gotik und soziologischer Schauerromantik kombiniert." ... "Sollte ich den Unsinn gesagt und gemeint haben, den Sie in meinen Text hineinlegen, so hatten Sie Recht, davor zu warnen." ... "Wem dienen sie mit Ihrem Auftritt – sich selbst?, einem anderen?, der Diskursdemokratie?, der ganzen Menschheit? ... Damit kommen wir zu dem anderen Punkt. Folgen wir einfach Ihrem Hinweis: Wenden wir uns an den Besitzer der vorgehaltenen Hand, die Ihnen zugesteckt hat, zu wessen Nutzen sie sich und andere munter machen sollen." Damit leitet er über auf seinen in derselben ZEIT-Ausgabe direkt anschließend abgedruckten "Offenen Brief, Zweiter Teil" gegen J. Habermas, den er für den Initiator der Attacken gegen sich hält: "Gerüchte reisen bekanntlich schnell. Irgendjemand hat einmal gesagt, sie reisen so schnell wie der böse Wille. Inzwischen ist auch mir, als letztem Glied in der geflüsterten Kette, mit einer Verzögerung von nur wenigen Wochen, sogar an meinem Ferienort im Süden zu Ohren gekommen, was Sie über mich und meinen Elmauer Vortrag zum Humanismusbrief von Martin Heidegger verbreitet haben sollen, mit Worten, die eher aus dem polemischen Reservoir Ihres politischen Wortschatzes stammen, wobei der Ausdruck "jungkonservativ" eine große Rolle spielt. Mit Rücksicht darauf, dass es zwischen uns einmal hellere Tage gegeben hat, sogar die unausgeführte Vorskizze zu einer Freundschaft, und weil ich meine Erinnerungen an die Hochachtung, die ich für Sie als Verfasser einiger für mich und meine Generation lehrreicher Bücher empfand, nicht im Affekt verwerfen will, schreibe ich Ihnen hiermit, um die Voraussetzungen für eine Rückkehr zu dialogischen, nicht diffamierenden Verständigungsformen von meiner Seite her zu erfüllen. Ich tue den ersten Schritt, obwohl es Ihnen der Situation nach oblegen hätte, ihn zu machen. Ich honoriere den Bonus des Älteren, den Sie in Bezug auf mich genießen. Ich betrachte bis auf weiteres Ihre Auslassungen als bloße Irrtümer, die Sie revidieren können, und Ihre Urteile als Ausdrücke eines Zustands, von dem eine Rückkehr in gemäßigte Formen noch möglich ist. Bitte beachten Sie die Formulierung "bis auf weiteres". Sie drückt aus, dass ich der Obergrenze meiner Toleranz nahe bin. Sie haben, Herr Habermas, mit zahlreichen Leuten über mich geredet, niemals mit mir, in unserem argumentierenden Gewerbe ist das bedenklich; bei einem Theoretiker des demokratischen Dialogs ist es unverständlich. Mit Ihren Reden haben Sie, um nach dem zu urteilen, was ich im indirekten Rücklauf höre, für Aufregung gesorgt. Über Wochen hin, scheint es, haben Sie im Groben gepoltert und im Feinen agitiert. Sie haben zwischen Hamburg und Jerusalem umhertelefoniert, um andere zu Ihrem Irrtum zu bekehren. Sie haben Kollegen, die meine Elmauer Rede bedenkenswert fanden, sogar massiv unter Druck gesetzt. Mehr noch, Sie haben Raubkopien des Textes angefertigt (der Ihnen privatim überlassen worden war) und diese, unter Verletzung aller guten kollegialen, akademischen und publizistischen Sitten, an Journalisten, die ihre Schüler waren und sind, geschickt, begleitet mit einer expliziten Anleitung zum Falschlesen und mit einer Aufforderung zum Handeln. Sie haben Teilnehmer der Elmauer Tagung mit latent erpresserischen Vorwürfen überschüttet, dass sie in situ nicht so exzentrisch wie Sie auf meine Rede reagiert hatten. Sie haben bei einem Mitarbeiter der ZEIT sowie bei einem Autor des Spiegel Alarmartikel in Auftrag gegeben, bei denen Ihr Name nicht fallen sollte. Zuerst blies ihr Schüler Assheuer ins Horn, dann hat auch der Mohr seine Schuldigkeit getan. ... Mithin: Dass Sie, dieser große Kommunikator, dieser vom eigenen Nicht-Faschismus durchdrungene Diskursethiker aus Deutschland (Ihr nachweislich brüchiges Axiom lautet ja: Faschisten sind immer die anderen), die Medien so zum Einsatz bringen, wie dieser Vorfall es bezeugt, gibt mir Gelegenheit zu bemerken, wie im Konflikt Ihre liberale Maske zerfällt. Ihre diskursethischen Vorwände rücken zunehmend zur Seite und lassen robustere Motive erkennen. Ich brauche nur in dieser Woche die ZEIT zu lesen und den Spiegel, um zu wissen, woran ich mit Ihnen und Ihren ethischen Projekten bin. Sie haben aufgehört, den zwanglosen Zwang des besseren Arguments zu bemühen. Jetzt sind Sie endlich bei dem nicht mehr ganz so zwanglosen Zwang der schnelleren Denunziation (und der schlechteren Lektüre) angekommen. (Ihr verstorbener Kollege Luhmann würde bemerken: also doch Umstellung von Moraldiskurs auf Agitation.) ... Jedenfalls wissen wir jetzt besser, durch Sie selbst und Ihre gelehrigen Schüler, was Sie unter Diskutieren, unter Denken, unter Zugehen auf Probleme, unter Öffentlichkeit und unter Offenheit verstehen. Sie haben exemplarisch gemacht, wie sich das schlechte Lesen als Waffe einsetzen lässt, und Sie haben eine Szene arrangiert, die uns half zu verstehen, wie bei allzu treuen Schülern die Legasthenie interessante Verbindungen mit dem Opportunismus eingeht. Kann man von einem Aufklärer mehr verlangen? ... Ach, lieber Habermas, würde ich am liebsten sagen, es ist vorbei. Die Zeit der Söhne mit dem zu guten und dem zu schlechten Gewissen geht vorüber. Was ist daran so traurig? Es gilt, ein neues Kapitel aufzuschlagen. Was ich philosophisch als Theoretiker des humanen Traums dazu beitragen wollte, zeigen meine beiden letzten Bücher. Die Kritische Theorie ist an diesem 2. September gestorben. Sie war seit längerem bettlägerig, die mürrische alte Dame, jetzt ist sie ganz dahingegangen. Wir werden uns versammeln am Grab einer Epoche, um Bilanz zu ziehen, aber auch, um des Endes einer Hypokrisie zu gedenken. Denken heißt Danken, hatte Heidegger gesagt. Ich meine eher, Denken heißt Aufatmen." Überlassen wir ohne weitere Kommentierung dieses völlig von der Sache absehenden Pamphlets die Antwort Habermas selbst, die prompt wiederum in der ZEIT am 16.9. folgte: Post vom bösen Geist überschreibt er seine Antwort, in der er sachlich auf den Menschenpark-Text ebensowenig wie Sloterdijk selbst eingeht, sondern lediglich die ihm von jenem unterstellten "jakobinischen" Aktivitäten als frei erfunden bestreitet. "Sloterdijk beschränkt sich auf tangential responses. Statt auf die Kritik von Thomas Assheuer einzugehen, behauptet er, nicht gemeint zu haben, was er geschrieben hat. Er streut dem Publikum Sand in die Augen, wenn er sich nun als harmlosen Bioethiker darstellt." Und er weist sowohl den Angriff auf die "Kritische Schule" und deren Diskursethik wie die Art und Weise des Sloterdijkschen Denkens in einem zurück: "Besser lässt ... sich [die Differenz zwischen Habermas und Sl.] wohl an einer Struktur des Denkens deutlich machen – an dem Misstrauen gegen den Gestus des Eingeweihten und des Erwählten, gegen tiefes Denken und den Anspruch auf einen privilegierten Zugang zur Wahrheit. Wenn man es kurz und bündig sagen darf: Meine Generation hat den vornehmen Ton in der Philosophie, der schon Kant und Heine auf den Nerv gegangen war, abgeschafft. Darin steckt die ... Überzeugung, dass sich theoretische Auseinandersetzungen nicht in Reputationsgerangel erschöpfen; dass sich in der Welt, in der Theorien aufeinanderstoßen, am Ende die besseren Argumente durchsetzen und nicht Selbstinszenierungen auf Kosten anderer. Oder sollte sich Sloterdijk über diese Welt längst in jene Höhen erhoben haben, wo das An- und Ausdenken das Nachdenken ersetzt hat?" Trotz Ankündigung im 3-SAT-Magazin "Kulturzeit" (das Fernsehen befaßt sich in verschiedenen Sendungen mit dem Thema und läßt insbesondere Sloterdijk breit zu Wort kommen, so etwa auch im ZDF-Nachtstudio) legt dieser keinerlei Beweise für die "Undercover-Aktion" vor – wohl, weil es sie nicht gibt. Vielmehr klingt die Darstellung von Habermas völlig glaubwürdig, hier hat sich Sloterdijk offenbar von anderen Motiven hinreißen lassen ... Im übrigen sind seine Äußerungen nun insofern von Rückzugsmanövern geprägt, als er suggerieren möchte, eigentlich "nur" auf die Möglichkeiten der Bio-Techniken und die sich daraus ergebenden ethischen Probleme hingewiesen zu haben. Dann hätte er aber wissen können und müssen, daß insofern keinerlei Nachholbedarf besteht und bestand, da die Bioethik seit Jahren in der aktuellen Diskussion stets präsent war und ist und keinesfalls auf die dunklen Ergüsse eines Sloterdijk gewartet werden mußte, die dem Thema eher schaden als irgendetwas Neues dazu beizutragen. Nun jedenfalls ging die Diskussion in den Medien erst richtig los, aus allen Ecken der Republik meldeten sich die Geister – was zumindest insgesamt gesehen zu einer fruchtbaren Diskussion und Klarstellung der Thematik führte, Popper darin bestätigend, daß auch Irrtum und Falschheit schließlich zu richtigen Ergebnissen führen können. Es kann hier naturgemäß nicht auf alle Beiträge eingegangen werden, so seien hier stellvertretend einige der führenden "Beiträger" genannt: Dieter Thomae(8) in der Woche ("Sloterdijk sagt von der Weltlage, sie sei ‚verschwommen und nicht geheuer‘; dies gilt jedoch vor allem für sein eigenes Denken."), Lütkehaus(9) im SPIEGEL ("Selten kam so viel Verfolgungs- mit so viel Größenwahn zusammen."), Ernst Tugendhat, der zum Schluß ausführlich zu Wort kommen wird, und Manfred Frank(10) in der ZEIT ("Ihre Elmauer Rede ist ein merkwürdiges rhetorisches Gebilde: ein raunendes Geschweife und Geschwefel, ein pointeloses Flirten mit verfänglichen Materien, die sich todsicher zur Publikumsprovokation eignen. Dem Vortrag eine klare These, eine Überzeugung, gar eine rationale Handlungsempfehlung abzugewinnen ähnelte der Mühe, einen Pudding an die Wand zu nageln."), Rüdiger Safranksi(11) und Antje Vollmer(12) in der FAZ, dann ein größeres Projekt(13) im SPIEGEL Nr. 39 mit diversen Artikeln und Interview (in meiner Zusammenstellung 20 Seiten), Günter Figal(14) in der FAZ, Walther Zimmerli(15) in der ZEIT, Wolf Singer(16) und Robert Spaemann(17) in der FAZ ("Da Peter Sloterdijk nun einmal eine öffentliche Debatte in Gang gebracht hat, an der er offenbar auch weiter teilzunehmen wünscht, schlage ich vor, dass er sich das dafür erforderliche biologische Rüstzeug nachträglich möglichst schnell beschafft und dass er sich mit dem Stand der bioethischen Debatte vertraut macht.") Hinzuzurechnen sind verschiedene Nebenartikel zum Thema, die sich aus unterschiedlichen Perspektiven mit der Problematik der Gentechnologie beschäftigen (sowie ein Überblick über die "Kritische Theorie"), die wohl sonst nicht erschienen wären. Besonders empfehlen möchte ich die Artikel im SPIEGEL Nr. 39, in denen unter anderem ein Überblick über den Stand der Gentechnik und deren bislang sichtbare Chancen und Risiken in der Zukunft einschließlich der zugehörigen ethischen Überlegungen gegeben wird, sowie den ausgezeichneten Artikel des renommierten Hirnforschers Wolf Singer, der unter der Überschrift: "Wissen für die Zukunftsplanung steht nicht zur Verfügung" erläutert, daß die "anthropotechnologischen" Erwartungen Sloterdijks aus gentechnischen und neurobiologischen Überlegungen heraus schlicht falsch sind. Zu meiner und wohl zur Erleichterung vieler anderer trat dann glücklicherweise ein anderes Ereignis bei den Feuilletons in den Vordergrund: Günter Grass hatte den Nobelpreis erhalten – und damit war erst einmal das Ende der Debatte angesagt. Versuche, die Debatte wieder anzuheizen, etwa mit eine zweiten Tagung in Elmau Mitte Dezember, scheiterten; hier verschiebt Sloterdijk plötzlich den Akzent seines Textes darauf, daß es ihm "um grundsätzliche Aussagen zum Humanismus in der Auseinandersetzung mit Heidegger gegangen sei" – obwohl dieser Abschnitt (übrigens einer der besseren) nur einen kleinen Teil seiner Rede ausmacht. Über ihn sei ein "hermeneutischer Hunnensturm" hereingebrochen, den er doch in Wirklichkeit selbst erst inszeniert hatte. Lassen wir es Ernst Tugendhat sagen, was von seinem Text zu halten ist; unter der Überschrift "Es gibt keine Gene für die Moral" urteilt er in der ZEIT vom 23.9. folgendermaßen: "Nun hat also die Erregung über Sloterdijks Vortrag sogar bewirkt, dass er in der vorigen ZEIT abgedruckt worden ist, unverdientermaßen, finde ich, denn der Text ist assoziativ und weder nachdenklich noch argumentativ. Nun muss man sich also mit ihm auseinander setzen. Er lässt sich etwa so zusammenfassen: 1. These: Heidegger habe ganz Recht, dass der Humanismus heute zu Ende sei, aber Unrecht, wenn er meine, zugunsten des Andenkens ans Sein, vielmehr müsse 2. These: gesehen werden, dass die Funktion des Humanismus darin bestand, das "Wilde" der Menschen zu "zähmen"; diese Aufgabe 3. These: müsse jetzt von einem Programm genetischer Züchtung wahrgenommen werden. Es war natürlich der dritte Punkt, der Befremden und Bestürzung hervorrief. Sloterdijks Reaktion auf die Kritiken, die in der Presse erschienen, war: Man habe nicht richtig gehört und gelesen. Außerdem fand sich in einem offenen Brief in der ZEIT Jürgen Habermas unversehens von einer Flut von Vorwürfen, Gehässigkeiten und Anbiederungen übergossen, mit der Begründung, er sei an allem schuld und habe die Kritiken veranlasst. Damit habe er ihn, den armen Peter Sloterdijk, "verdinglicht", er habe ihn zu einem "ausgedehnten Ding" gemacht und so das Grundprinzip seiner eigenen Dialogischen Theorie verletzt; habe er doch über ihn statt mit ihm gesprochen, und so sei "die Kritische Theorie an diesem 2. September gestorben". Was für ein Quatsch. Die Moral als ein Set von Normen ist etwas Kulturelles ... Die Gentechnik stellt uns schon jetzt (und wird das in den nächsten Jahren noch mehr tun) vor überaus schwierige Beurteilungs- und Entscheidungsprobleme. Durch ihre großartigen Fortschritte hat sich ein ganz neuer Handlungsspielraum eröffnet, bei dem wir wegen der Neuartigkeit der Probleme nicht ohne weiteres zurückgreifen können auf tradierte Richtlinien über das, was als erwünscht und unerwünscht, als zulässig oder unzulässig angesehen werden soll. Aus verschiedenen Perspektiven wird hier vielerorts über Gründe und Gegengründe nachgedacht und argumentiert. Es ist eine ernste und tiefbeirrende Situation, und ich weiß von niemandem, der sich bereits ein ausgewogenes Urteil gebildet hätte. Da sollte es, meine ich, nicht als zulässig angesehen werden, dass jemand, ohne zu argumentieren, einfach sein Tintenfass über die neue Materie ausgießt und glaubt, sie in der Weise eines Rorschachtests angehen zu dürfen. Man wird etwa folgende Möglichkeiten unterscheiden können, wie man hier Stellung beziehen kann: 1. Verbot aller genetischen Veränderungen von Lebewesen. 2. Verbot aller genetischen Veränderungen an Menschen. Für 1. und 2. gibt es gute Gründe, aber vielleicht noch bessere Gegengründe. 3. Einschränkung der zulässigen genetischen Eingriffe an Menschen auf die negative Eugenik, das heißt auf die Veränderung von Genen, die für Erbkrankheiten verantwortlich sind. Gegen die Möglichkeit dieser Begrenzung wird eingewandt, dass sich negative und positive Eugenik nicht scharf unterscheiden lassen. Aber auch wenn die Trennlinie nicht scharf ist, ist die Unterscheidung wichtig, und die meisten werden hier stehen bleiben wollen. 4. Die kritischste Schwelle ist die zur positiven Eugenik: Zulassung der genetischen Veränderung beliebiger körperlicher und seelischer Eigenschaften, die man für verbesserungsfähig hält. Natürlich stellen sich hier sofort die Fragen: Wer ist "man"? Und vor allem: Gibt es konsensfähige Kriterien für Verbesserungswürdigkeit? Und haben wir das Recht, unsere Nachkommen als unsere Artefakte anzusehen? Niemand in der bisherigen Diskussion – egal ob er pro oder contra argumentiert – bezweifelt, dass es für alle vier Schritte normative Kriterien geben muss, und die Frage ist nur, welche. Sloterdijk hingegen spricht zwar an einer Stelle von einem "Codex der Anthropotechniken", aber dieser wird vermutlich von ihm als technischer Codex, nicht ethisch verstanden, weil ja Sloterdijk zufolge der "Humanismus" – und dieser steht bei ihm offenbar für die gesamte tradierte Ethik – zu Ende ist. Der "Codex" kann also bei ihm nur das Ergebnis der Machtverhältnisse sein. Während es in der allgemeinen Diskussion darum geht, welche ethischen Gesichtspunkte für die zulässigen genetischen Veränderungen maßgebend sein sollen, kann sich Sloterdijk aufgrund seiner These vom Ende des Humanismus mit dieser Frage gar nicht befassen, sondern meint, dass wir uns umgekehrt eine Ethik oder einen Ersatz von Ethik nur von der "Züchtung" selbst erwarten können. Er überspringt also einfach die genannten vier Stufen und steht von vornherein auf einer 5. Stufe, auf der die Aufgabe der Gentechnik nicht die Verbesserung beliebiger Eigenschaften wäre, sondern die Verbesserung oder sogar Erneuerung der Moral selbst. Also nicht nur, dass die Gentechnik ohne moralische Kriterien ins Auge gefasst wird, sondern – schlimmer noch: Die Moral soll künftig das sein, was immer sich als Moral aus der "Züchtung" ergibt. Diese einigermaßen fantastische Vorstellung folgt aus dem Gedankengang des Vortrags. Sloterdijk geht ja nicht von dem durch die Gentechnik eröffneten Handlungsbedarf aus, obwohl er nachträglich auf ihn mit Recht verweist, sondern von der These, dass der Humanismus am Ende ist, einer These, die nur dadurch begründet wird, dass angeblich Heidegger das meinte (was nicht einmal stimmt und im Übrigen belanglos wäre). Von daher ergibt sich die Anlehnung an Nietzsche und Platon. Deswegen wird die Aufgabe der Genetik überhaupt als Züchtung und nicht nur als Verbesserung im Einzelnen gesehen. Die Genetik soll dafür herhalten, das von Sloterdijk postulierte ethische Vakuum zu ersetzen. Dabei übersieht er aber ..., dass Platon und Nietzsche, jeder auf seine Weise, von einem ethischen Ideal ausgehen, während für ihn die genetische Züchtung an die Stelle der Moral treten soll, sodass es kein Zufall ist, dass bei ihm die Frage, wie die Menschenzüchtung ihrerseits moralisch zu begründen und zu lenken ist, gar nicht aufkommt. Man beachte den Unterschied zu Nietzsche: Auch Nietzsche meinte, die tradierte Moral sei am Ende. Aber er konzipierte deswegen eine neue Moral, die Moral der "Vornehmen" oder des "Übermenschen" und man mag diese Moral für noch so verschwommen halten, so war doch der Gedanke wenigstens konsistent, dass die ins Auge gefasste Züchtung von dieser neuen Moral geleitet werden sollte – denn von irgendeiner Moral musste sie geleitet werden –, während Sloterdijk dieses Bedingungsverhältnis zwischen Moral und Züchtung auf den Kopf stellt. Es scheint mir klar, dass das nicht nur, wie Nietzsches Konzept, ablehnungswürdig ist, sondern gar keinen Sinn mehr ergibt. Möglich, dass Sloterdijk gerade das als Vorzug seiner Position ansieht (was weiß ich). Möglich aber auch, dass er sich auch hier missverstanden fühlt, weil er doch wiederholt im Vortrag sagte, was er unter dem Ethischen verstanden wissen will, nämlich die "Zähmung" des "Wilden". Dann wird man aber jetzt wissen wollen: Erstens: Erwartet Sloterdijk von der Züchtung eine neue Form der Zähmung der Wildheit – so klingt es an einer Stelle – oder aber – wie eine andere Stelle suggeriert – die rechte "Homöostase" zwischen den beiden gegensätzlichen Faktoren des Zahmen und des Wilden? In beiden Fällen wäre nur etwas über die Bestandteile gesagt, nichts über das Wie; dieses bliebe eben der Züchtung überlassen beziehungsweise den Kräften, die über diese entscheiden. Zweitens: Ist es denn so klar, dass Ethik primär in der Zähmung des Wilden besteht und die verschiedenen denkbaren Ethikkonzepte sich also durch die verschiedenen Weisen oder Proportionen dieses Verhältnisses unterscheiden? Daran schließt sich nun, drittens, die wichtigere Frage, inwieweit man sich überhaupt denken können soll, dass das ethische Selbstverständnis von Menschen genetisch bestimmt ist (und das wäre doch die Voraussetzung dafür, dass man meint, es soll genetisch erneuert werden). Handelte es sich um solche Unterschiede wie mehr oder weniger phlegmatisch ("zahm") und mehr oder weniger cholerisch ("wild"), so ist es relativ leicht vorstellbar, wie solche Eigenschaften und ihr Mehr oder Weniger genetisch bedingt sein können. Aber man wird Moral eher als etwas Normatives ansehen, und eine Moral als ein Set von Normen ist etwas Kulturelles: etwas, was gelernt und begründet werden muss. Verschiedene Moralen unterscheiden sich kaum als verschiedene Zusammensetzungen von Temperamenten oder Weisen ihrer Zähmung, sondern als verschiedene normative Systeme wie zum Beispiel Universalismus und Partikularismus. Es erscheint nicht gut denkbar, dass es ein Gen für Universalismus und ein anderes für Partikularismus gibt. Mit den Normen ist es wahrscheinlich ähnlich wie mit den Zahlen: Was man sich als genetisch bedingt denken kann, ist das Vermögen, zählen zu lernen, und das Vermögen, Normen zu lernen. Man kann sich Gene vorstellen, die das Lernen und Begründen genetisch bedingen, erleichtern, verhindern. Aber man kann es sich nicht gut als genetisch bestimmt vorstellen, dass dann entweder das eine oder das andere normative System für richtig gehalten wird. Sloterdijk verlegt also etwas in die Gene, worauf die Gene vermutlich keinen Einfluss haben. Ist es dann aber nicht, so könnte man einwenden, wenigstens ein harmloses Stück philosophical fiction? Es scheint mir nicht harmlos, weil ich meine, dass es heute wirklich ein Problem ist, wie wir uns moralisch verstehen sollen oder wollen, und es ist eine Irreführung des Publikums, die Antwort an einer Stelle festzumachen, an der sie wahrscheinlich gar keinen Sinn ergibt, und sie auf diese Weise unserer eigenen Verantwortung zu entziehen. Zuletzt möchte ich noch eine Kleinigkeit in der Diktion erwähnen. Warum verwendet Sloterdijk das Wort "Selektion"? Wenn ich dieses Wort in diesem Kontext höre, denke ich unwillkürlich an die Selektion an der Rampe von Auschwitz. Ist das nur mein Problem? Natürlich wird Sloterdijk beteuern, er habe daran überhaupt nicht gedacht, und ich gestehe ihm das zu, doch wer im heutigen deutschen Sprachraum dieses Wort benützt (es gibt, rein semantisch gesehen, gute Äquivalente), sollte daran gedacht haben. Es war ja nicht nur die Rampe: Ein gut Teil von Hitlers Programm war ein Programm der Selektion. Gewiss ist eine Selektion durch Züchtung ungleich humaner als eine Selektion durch Ausmerzung, aber die Kategorie des Humanen soll ja nach Sloterdijk nicht mehr verfügbar sein, und was die beiden Fälle verbindet, ist, dass nur noch die Macht bestimmend sein soll, bei Nietzsche und Hitler explizit, bei Sloterdijk implizit. Gewiss ist auch das ein wesentlicher Unterschied. Aber gehört es nicht, um zum Ausgangspunkt zurückzukommen, zur Aufgabe der Kritik, auch auf implizite Tendenzen und Gefahren eines Denkens aufmerksam zu machen? Und das Explizite? Ich muss gestehen, dass ich nicht verstanden habe, worum es dem Autor überhaupt geht. Was will er eigentlich? Und gibt es irgendetwas in diesem Aufsatz, was wir jetzt besser verstehen würden? Irgendetwas, das er geklärt hätte? Ich habe nichts gefunden." Dem ist nichts hinzuzufügen ... doch – es folgt noch: das Letzte. Sloterdijk hat lt. Meldung der "Nürnberger Nachrichten" vom 25.1.2000 den mit 10.000 DM dotierten Friedrich-Märker-Preis verliehen bekommen mit der Begründung, "das Faszinierende an Sloterdijks Prosakunst ist, dass es nicht luxuriöse Verpackung eines spröden Denkstoffes ist, sondern dem Denken überhaupt erst die fein verästelten Wege bahnt", so der Stiftungspräsident Hans Krieger. Jener "habe als erster wieder verstanden, ‚welch enorme Bedeutung die missachtete Plazenta für die Bewusstseinsentwicklung hat.‘" Anmerkungen: (1) So sagt er selbst in seiner "Verteidigung" am 20.12.99. (2) Sl. rekurriert insbesondere auf den Humanismusbrief Heideggers aus dem Herbst 1946, ein Antwortschreiben des letzteren auf Anfragen von Jean Beaufret, Paris, veröffentlicht zuerst 1947. Die hier einschlägige Frage Beaufrets lautet: "Auf welche Weise läßt sich dem Wort Humanismus ein Sinn zurückgeben?" Heidegger verbindet in seiner Argumentation so dunkel wie kunstvoll zweierlei Themenkreise: erstens das Ende des inhumanen "Dritten Reiches", an dessen Beginn er in seiner Rektoratsrede so unrühmlich mitwirkte, und zweitens seinen "philosophischen Grundgedanken", die "Seinsvergessenheit" der griechischen Metaphysik. Letzteres will sagen, daß die Griechen, und darauf aufbauend in notwendiger Folge die gesamte abendländische Kultur, das "Sein" falsch, nämlich als "Wesen" gedacht hätten; der daraus hervorgehende "Humanismus" sei dann aber wiederum notwendig ebenso fehlerhaft gewesen und im Nihilismus (Nietzsche) und Inhumanem (Drittes Reich) gestrandet. Genau hier ist dann die Nahtstelle, wo er "Sein und Zeit" und seine Rektoratsrede wieder in einen Zusammenhang meint stellen zu können, um zugleich damit das philosophische Grundproblem der falschen Seinsgründung durch die Griechen zu lösen: wenn er sich dort gegen den "Humanismus" gewandt habe, so doch nur gegen einen solchen (angeblich) falschen Humanismus, der auf Grund seiner fehlerhaften Seinsbegründung bereits dies Scheitern im Nihilismus und Inhumanen in sich trage. Bereits damals, als er den "Führer" "führen" wollte, sei es ihm um eine völlig neue seinsgeschichtliche Weichenstellung gegangen, will er uns glauben machen – er stellt sich über die gesamte Geistesgeschichte der Vernunft seit 2500 Jahren und nimmt die Pose des Propheten vom Sein an, um "das Wesen des Menschen anfänglicher zu denken". Lassen Sie es mich mit Heidegger selbst sagen, wie er sich dies neuerliche Entbergen des Seins und damit die Gründung eines neuen Humanismus denkt, der nurmehr den Namen mit demjenigen teilt, was vormals unter Humanismus verstanden wurde (S. 40 ff.): "Der Mensch ist und ist Mensch, insofern er der Ek-sistierende ist. Er steht in die Offenheit des Seins hinaus, als welche das Sein selber ist, das als der Wurf sich das Wesen des Menschen in ‚die Sorge‘ erworfen hat. Dergestalt geworfen steht der Mensch ‚in‘ der Offenheit des Seins. ‚Welt‘ ist die Lichtung des Seins, in die der Mensch aus seinem geworfenen Wesen her heraussteht. Das ‚In-der-Welt-sein‘ nennt das Wesen der Ek-sistenz im Hinblick auf die gelichtete Dimension, aus der das ‚Ek-‘ der Ek-sistenz west." Erst aus solcher Steh- und Sehweise öffne sich die "Dimension des Heiligen", "die sogar schon als Dimension verschlossen bleibt, wenn nicht das Offene des Seins gelichtet und in seiner Lichtung dem Menschen nahe ist. Vielleicht besteht das Auszeichnende dieses Weltalters in der Verschlossenheit der Dimension des Heilen. Vielleicht ist dies das einzige Unheil." Und mit dieser Erkenntnis wäre denn ja auch der Fehlgriff Heideggers selbst von 1934 entschuldigt ... Die nächste Frage Beaufrets geht auf den Zusammenhang von Ontologie und Ethik, also danach, welche Regeln sich ein wirklicher Humanismus in der Sicht Heideggers denn zu geben habe; lassen wir auch hier Heidegger das Wort (S. 43 ff.): "Bald nachdem ‚S.u.Z.‘ erschienen war, frug mich ein junger Freund: ‘Wann schreiben Sie eine Ethik?‘ Wo das Wesen des Menschen so wesentlich, nämlich einzig aus der Frage nach der Wahrheit des Seins gedacht wird, wobei der Mensch dennoch nicht zum Zentrum des Seins erhoben ist, muß das Verlangen nach einer verbindlichen Anweisung erwachen und nach Regeln, die sagen, wie der aus der Ek-sistenz zum Sein erfahrene Mensch geschicklich leben soll. Der Wunsch nach einer Ethik drängt um so eifriger nach Erfüllung, als die offenkundige Ratlosigkeit des Menschen nicht weniger als die verhehlte sich ins Unmeßbare steigert. Der Bindung durch die Ethik muß alle Sorge gewidmet sein, wo der in das Massenwesen ausgelieferte Mensch der Technik nur durch eine der Technik entsprechende Sammlung und Ordnung seines Planens und Handelns im ganzen noch zu einer verläßlichen Beständigkeit gebracht werden kann." ... (S. 51) "Nur sofern der Mensch, in die Wahrheit des Seins ek-sistierend, diesem gehört, kann aus dem Sein selbst die Zuweisung derjenigen Weisungen kommen, die für den Menschen Gesetz und Regel werden müssen. Nur "die in der Schickung des Seins geborgene Zuweisung" ... "vermag es, den Menschen in das Sein zu verfügen. Nur solche Fügung vermag zu tragen und zu binden. Anders bleibt alles Gesetz nur das Gemächte menschlicher Vernunft. Wesentlicher als alle Aufstellung von Regeln ist, daß der Mensch zum Aufenthalt in die Wahrheit des Seins findet. Erst dieser Aufenthalt gewährt die Erfahrung des Haltbaren. Den Halt für alles Verhalten verschenkt die Wahrheit des Seins. "Halt" bedeutet in unserer Sprache die ‚Hut‘. Das Sein ist die Hut, die den Menschen in seinem ek-sistenten Wesen dergestalt zu ihrer Wahrheit behütet, daß sie die Ek-sistenz in der Sprache behaust. Darum ist die Sprache zumal das Haus des Seins und die Behausung des Menschenwesens. ... Das Denken achtet auf die Lichtung des Seins, indem es sein Sagen vom Sein in die Sprache als der Behausung der Eksistenz einlegt. So ist das Denken ein Tun. Aber ein Tun, das zugleich alle Praxis übertrifft. ... Das Denken bringt nämlich in seinem Sagen nur das ungesprochene Wort des Seins zur Sprache. ... Diese bleibende und in ihrem Bleiben auf den Menschen wartende Ankunft des Seins je und je zur Sprache zu bringen, ist die einzige Sache des Denkens. ... Das künftige Denken ist nicht mehr Philosophie, weil es ursprünglicher denkt als die Metaphysik ... Das Denken sammelt die Sprache in das einfache Sagen. Die Sprache ist so die Sprache des Seins, wie die Wolken die Wolken des Himmels sind." (3) Martin Heidegger, Über den Humanismus, 1949, V. Klostermann, Frankfurt/M., 9. Auf. 1991, S. 51 (4) "Es gibt ein Unbehagen in der Macht der Wahl, und es wird bald eine Option für Unschuld sein, wenn Menschen sich explizit weigern, die Selektionsmacht auszuüben, die sie faktisch errungen haben. Aber sobald in einem Feld Wissensmächte positiv entwickelt sind, machen Menschen eine schlechte Figur, wenn sie – wie in den Zeiten eines früheren Unvermögens – eine höhere Gewalt, sei es den Gott oder den Zufall oder die Anderen, an ihrer Stelle handeln lassen wollen. Da bloße Weigerungen oder Demissionen an ihrer Sterilität zu scheitern pflegen, wird es in Zukunft wohl darauf ankommen, das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken zu formulieren. Ein solcher Codex würde rückwirkend auch die Bedeutung des klassischen Humanismus verändern – denn mit ihm würde offengelegt und aufgeschrieben, daß Humanitas nicht nur die Freundschaft des Menschen mit dem Menschen beinhaltet; sie impliziert auch immer – und mit wachsender Explizitheit –, daß der Mensch für den Menschen die höhere Gewalt darstellt. Etwas hiervon war Nietzsche gegenwärtig, als er es wagte, sich selbst im Ausblick auf seine Fernwirkungen als eine force majeure zu bezeichnen. Man kann das Ärgernis, das durch diese Äußerung in die Welt gesetzt wurde, auf sich beruhen lassen, da es zur Beurteilung solcher Prätentionen um viele Jahrhunderte, wenn nicht um Jahrtausende zu früh ist. Wer hat Atem genug, sich eine Weltzeit vorzustellen, in der Nietzsche so historisch sein wird wie Plato es für Nietzsche war? Es genügt, sich klar zu machen, daß die nächsten langen Zeitspannen für die Menschheit Perioden der gattungspolitischen Entscheidung sein werden. In ihnen wird sich zeigen, ob es der Menschheit oder ihren kulturellen Hauptfraktionen gelingt, zumindest wirkungsvolle Verfahren der Selbstzähmung auf den Weg zu bringen. Auch in der Gegenwartskultur vollzieht sich der Titanenkampf zwischen den zähmenden und den bestialisierenden Impulsen und ihren jeweiligen Medien. Schon größere Zähmungserfolge wären Überraschungen angesichts eines Zivilisationsprozesses, in dem eine beispiellose Enthemmungswelle anscheinend unaufhaltsam rollt." (5) Gerade diese literarischen Medien werden allerdings von Sloterdijk als heutzutage unwirksam bezeichnet, und dennoch zielt er auf sie mit seinem Text – ohne uns diesen Selbstwiderspruch in seiner Argumentation deutlich zu machen. So legte er großen Wert auf die Einhaltung der "kleinen Zitatrechte", da er aus höchst durchsichtigen Motiven sich die wirtschaftliche Auswertung angesichts des geschaffenen Lärms selbst vorbehalten wollte. (6) So Ritschl zu Nietzsches "Geburt der Tragödie" (7) veröffentlicht vom Institut für Kulturphilosophie Wien, aus dem Nachwort zu "Vor der Jahrtausendwende: Berichte zur Lage der Zukunft, hrsg. v. P. Sloterdijk, Frkf. a. Main 1990, S. 726-729 (8) Thomä: "Nein, Sloterdijks Text hat keine eindeutig ‚faschistische‘ Tendenz. Das liegt schlicht daran, dass er nicht eindeutig ist. Das Gefährliche an ihm ist genau dies: das Ungefähre. Sloterdijk sagt von der Weltlage, sie sei ‚verschwommen und nicht geheuer‘; dies gilt jedoch vor allem für sein eigenes Denken." (9) Lütkehaus: "Selten kam so viel Verfolgungs- mit so viel Größenwahn zusammen. ... Aber auch der Vortrag selber gibt nur begrenzt Anlass zur Entwarnung. Zu flüssig gehen Sloterdijk seine genetisch ingeniösen Wortspiele von der Zunge, die die philosophische Wagnerei mit der Heideggerei kreuzen, damit sich die "Selektion" auf die "Lektion" und das "Auslesen" auf das "Lesen" reimen kann. ... Das Pathos dieses Briefes gilt dem von Nietzsche ‚postulierten ... Kampf zwischen den Kleinzüchtern und den Großzüchtern des Menschen – man könnte auch sagen zwischen Humanisten und Superhumanisten, Menschenfreunden und Übermenschenfreunden‘. Mit einem Wort: Freunde allerorten. Der Titel des Vortrags redet klareren zynischen Text: Es geht um ‚Regeln für den Menschenpark‘, das heißt nach Sloterdijks Platon-Auslese: um den ‚Betrieb von Menschenparks‘, organisiert von ‚züchterischem Königswissen‘. Tatsächlich eine rundum ‚zoo-politische Aufgabe‘: Schon das Vokabular ist gruselig inhuman." (10) Frank: "Ihre Elmauer Rede ist ein merkwürdiges rhetorisches Gebilde: ein raunendes Geschweife und Geschwefel, ein pointeloses Flirten mit verfänglichen Materien, die sich todsicher zur Publikumsprovokation eignen. Dem Vortrag eine klare These, eine Überzeugung, gar eine rationale Handlungsempfehlung abzugewinnen ähnelte der Mühe, einen Pudding an die Wand zu nageln. ... Die Nazistiefel möchten Sie ausdrücklich nicht durch diese Gedanken stampfen sehen; aber, ehrlich gesagt, Sie tun nicht viel, um den Nazijargon zu vermeiden. Im Übrigen: Wer so kräftig gegen das Klavier der Menschenzüchtungssprache anrempelt, muss wissen, dass nicht nur ein bestimmter Ton erzeugt wird, sondern dass viele Saiten miterklingen werden. Zwar betonen Sie gelegentlich den nur andeutenden, verschwommenen Charakter Ihrer Vision. Aber das trifft nicht den Punkt. Der Punkt ist, dass sich Ihre Ausführungen in frivolem Flirt mit dem gesamten Kontext des Nietzscheschen Werks aufladen und doch nicht nachweisbar zu diesen Implikationen stehen. Sie beuten die Schauder ästhetisch aus, die immer noch von Nietzsches Gefährlichdenkerei ausgehen." (11) Safranski: "Die Art der moralischen Herausforderung ist nur, aber ob wir eine wirklich neue Moral erfinden müssen oder ob das Neue nicht besser mit einer neu bekräftigten älteren Moral balanciert werden kann, wäre zu bedenken. Welche Moral? Ich meine die altmodische Moral der Ehrfurcht vor dem Ungeheuren der Natur. Was bedeutet diese Ehrfurcht? Sie bedeutet zunächst einmal anzuerkennen, dass das Leben – das eigene, das fremde und das der Natur – die Verkörperung einer unendlich langen Erprobungs- und Erfahrungsgeschichte ist, die stets komplexer und geheimnisvoller bleiben wird, als wir begreifen werden, weshalb wir die ferneren Folgen eines Eingriffs nie abschätzen können. Eingriffe bleiben selbstverständlich nötig und nützlich, aber angesichts der gewachsenen Eingriffsmöglichkeiten und damit auch der gewachsenen Unabsehbarkeit der Handlungsfolgen benötigen wir eine Stärkung des Systems moralischer Hemmungen, die ein verantwortungsloses Herumwerkeln wenigstens abbremsen kann. Die Begründungslasten müssten dabei umgedreht werden: Nicht die Hemmung, sondern die Enthemmung ist begründungspflichtig." (12) A. Vollmer: "Sloterdijk verweist auf die alten Briefe aus den Archiven, die ihn wieder zu der Frage gebracht haben, die alle angeht. Das ist verdienstvoll, schön dunkel und raunend, verführerisch, aber es ist zu wenig. Er hat angefangen zu fragen, er wird auch anfangen müssen mit den Versuchen einer Antwort. (13) Die Lektüre dieses SPIEGEL-Projekts kann nur empfohlen werden; es wird hier eindringlich der Wandel der Anschauungen zur Eugenik dargestellt (so wurden die deutschen Forschungen und Maßnahmen auf diesem Gebiet im "Dritten Reich" bis 1941 von amerikanischem Geld mitfinanziert!), die "Rassengesetze" waren die kontinuierliche Fortsetzung des global gültigen eugenischen Mainstreams. Auch werden die Chancen und Risiken der derzeitigen Möglichkeiten im Zusammenhang von Gentechnik und Ethik objektiv vorgeführt: "Mit der Formulierung einer Bioethik hat sich, von vielen unbemerkt, das Verhältnis von Wissenschaft und Ethik umgekehrt. Die in der deutschen Philosophie wurzelnde Ethik geht von einem Verständnis von der Natur des Menschen aus und leitet daraus Kriterien für das Handeln ab. Ganz anders die aus den angelsächsischen Ländern stammende Bioethik. Niemand hat dies prägnanter auf den Punkt gebracht als Robert Edwards, einer der medizinischen Väter des Retortenkindes Louise Brown: ‚Die Ethik muss sich der Wissenschaft anpassen, nicht umgekehrt.‘" Saltzwedel schildert dann im weiteren den Werdegang Sloterdijks, während R. Mohr die Menschenpark-Debatte in ihren größeren Zusammenhang stellt etwa zum Bocksgesang Botho Strauß‘ und der Martin-Walser-Debatte, wo überall von der eher konservativen Seite her das Unbehagen am rationalen Diskurs und so eben auch an der "Kritischen Theorie" sichtbar wird: "Es liegt in der Logik der intellektuellen Skandaldebatte, dass die Lesarten und Interpretationen verschieden, ja gegensätzlich sind, dass mit unzähligen Worten und Invektiven aufeinander eingedroschen wird, ohne dass Argumente zum Zuge kämen, denen alle Kontrahenten Geltung und Plausibilität zubilligen könnten – mit deren Hilfe gar ein gewisses Einvernehmen zu erzielen wäre. Stattdessen geht es allein um die Macht des Diskurses, Positionskämpfe und die Bastionen des Zeitgeists. Für Esprit, für Clarté oder gar Humor ist da kein Platz. Die Sache ist bitterernst. Im Berliner ‚Tagesspiegel‘ ließ Sloterdijk schon mal erkennen, dass er sich seine Kritiker, blitzgescheite und niveauvolle Burschen wie er selbst, für die nächste Großdebatte lieber gleich im Biolabor heranzüchten werde: ‚Wenn ich an meine völlig naturbelassenen Denunzianten denke‘, so Sloterdijk wörtlich, ‚würde ich allerdings wünschen, die Kunst, gebildete und sympathische Menschen hervorzubringen, wäre doch schon ein wenig weiter.‘ Voilá, Züchters Traum, tomorrow‘s world. It‘s just a zombie." Bedeutsam auch das Interview mit dem Philosophen und Bioethiker Ludger Honnefelder (Bonn); Auszug: SPIEGEL: Noch oder für immer? Honnefelder: Ich vermute, dass das immer so bleibt. Wir stehen erst am Anfang einer Entwicklung. Wir werden nach Abschluss des Genom-Projekts zwar eine weitgehende Entzifferung des menschlichen Erbguts haben, aber das Zusammenwirken der Gene im Rahmen der Zellbiologie ist bisher noch eine Terra incognita. SPIEGEL: Haben Sie einen moralischen Einwand gegen Sloterdijk? Er schlägt ja vor, die Philosophen sollten "aktiv" werden und in das "Spiel" der Züchtung des Menschen eingreifen. Honnefelder: Die Absicht von Experten, über andere zu bestimmen, auch wenn sie noch so gut gemeint wäre und erstrebenswerte Eigenschaften zum Ziel hätte, stellte einen Tugendterror dar und verstieße gegen die ethische Selbstbestimmung, die jedem eigen ist. Ein Menschenbild, das "Züchter" und "Gezüchtete" unterscheidet, ist ein elementarer Verstoß gegen das Gleichheitsprinzip, das darauf beruht, dass jeder das Vermögen hat, sittliches Subjekt zu sein. SPIEGEL: Wenn die Philosophen nicht als "Züchter" des moralischen Menschen berufen sind, inwieweit taugen sie als Kontrolleure der Genforschung? Honnefelder: Die großen moralischen Theorien verstehen sich – im Gegensatz zu Sloterdijk und einer bestimmten Platon-Interpretation – als Aufklärung des moralischen Urteils von jedermann. Es ist ein Missverständnis, dass die Ethiker so etwas wie ein Vormund sein könnten. Die Ethik kann nur bei der moralischen Urteilsfindung behilflich sein. ... SPIEGEL: Sloterdijk fragt, was der Humanismus zur Zähmung des Menschen überhaupt noch leisten kann. Honnefelder: Es ist doch umgekehrt: Wir brauchen die Idee der Humanität mehr denn je. Das Argument, dass das Projekt des Humanismus durch Menschenzüchtung abgelöst werden soll, widerlegt sich schon dadurch, dass sich die Genetiker über die Ziele einig werden müssten – und dann wären wir wieder bei der Frage nach der Humanität. Genetiker wie Ethiker müssten erst einen Konsens über den gewünschten, den wünschbaren Menschen erzielen. Dass wir auf das Expertenwissen der wenigen, kundigen Ideenfreunde zurückgreifen sollen, wäre eine Lösung, die durch die Philosophiegeschichte längst als widerlegt gilt. (14) G. Figal: " ... statt Heideggers Gedanken aufzunehmen und zu diskutieren, macht Sloterdijk sich daran, sie zu überbieten: nicht das Sein sei das Ursprüngliche, sondern es gebe eine Naturgeschichte des Menschen, durch die erst möglich geworden sei, was Heidegger beschreibt. Man fragt sich, warum Sloterdijk nicht sieht, dass er hier in die schlechte Dialektik von Natur und Übernatur zurückfällt ... Was meint Sloterdijk mit seinem Vorschlag, "das Spiel aktiv aufzugreifen und einen Codex der Anthropotechniken" zu formulieren? Hier ist die Gedankenschrift schwer zu lesen, und nach einer Weile sieht man, warum: Sehr Verschiedenes ist über- und ineinander geschrieben. Sloterdijks Lösungsvorschlag bleibt einerseits erfreulich konventionell und hält sich gar nicht so weit von der Heidegger‘schen Lösung entfernt; andererseits jedoch wird das beim Versuch einer naturgeschichtlichen Überbietung Heideggers durch den dichten Schleier der Sloterdijkschen Metaphern verdeckt." (15) W. Zimmerli: "Nicht in der abwegigen Züchtungsidee liegt also die Bedeutung von Sloterdijks ‚Menschenpark‘-Rede, sondern allein in ihrer geschilderten massenmedialen Funktion. ... Insofern hat Sloterdijk seine Schuldigkeit getan. Jetzt kann er gehen und an seinem ‚Sphären‘-Projekt weiterarbeiten. Oder sich vielleicht einmal in einem Pflanzenzüchtungslabor darüber informieren, wie schwierig das, was er den schaudernden Zuhörern als Menetekel an die Elmauer Wand geschrieben hat, schon bei Zuckerrüben oder Mais zu realisieren ist – von den Menschen ganz zu schweigen." (16) Der international renommierte Hirnforscher Wolf Singer schreibt unter den Titeln "Ironische Züge im Gesicht der Wissenschaft. Wissen für die Zukunftsplanung steht nicht zur Verfügung": "Im evolutionären Gesamtsystem ist der Mensch jedoch beobachtender Mitspieler und kann die Position des unabhängigen Betrachters nicht einnehmen. Er ist in einem selbstreferentiellen Zirkel gefangen und deshalb prinzipiell unfähig, das Metawissen zu erlangen, das zur Beherrschung des Systems erforderlich wäre. ... Auch hier gilt, dass in komplexen Systemen das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile und dass die Qualitäten des Ganzen nur von einer Metaebene aus erfasst werden können. Symptom unserer Einbindung in ein komplexes, unüberschaubares System und des daraus resultierenden Nicht-Wissen-Könnens ist, dass wir zwar Veränderungen feststellen, die Wege zu diesen Veränderungen aber erst im historischen Rückblick erkennen können. Obgleich wir die Bewegungen unseres Systems selbst reflektieren, mit immer feineren Instrumenten bestimmen und mit immer wirksameren Verfahren beeinflussen können, gilt nach wie vor, dass wir aktive Komponenten eines selbstorganisierenden Prozesses sind, den wir aus prinzipiellen Gründen nicht zu beherrschen vermögen: einmal, weil der Prozess selbst dynamische Eigenschaften aufweist, die Beherrschbarkeit ausschließen, und zum anderen, weil wir das erforderliche Herrschaftswissen nicht erlangen können. Ein Wissen, das uns potentiell vom Geschöpf zum Schöpfer machen könnte, liefert zugleich die Beweise, dass diese Vision jetzt und vermutlich in alle Zukunft uneinlösbare Utopie bleiben wird. ... Das Genom ist keine Liste von isolierten Einzelinstruktionen, sondern selbst bereits ein hoch interaktives Netzwerk. Gleiches gilt für die Entwicklung vom Ei zum Organismus. Sie beruht auf komplexen Selbstorganisationsprozessen, die von fortwährenden Interaktionen zwischen dem Genom, den sich entwickelnden Zellen und deren jeweiliger Organumgebung getragen werden. Hier ergeben sich erneut kaum überschaubare Möglichkeiten zur Anpassung an die Veränderung im Expressionsmuster einzelner Gene. So wird verständlich, dass die lineare Beziehung "ein Gen – ein Merkmal" die seltene Ausnahme darstellt. In der aktuellen Diskussion geht es nun nicht um einfach zu definierende Eigenschaften wie Augenfarbe oder bestimmte Enzymdefekte, sondern um Persönlichkeitsmerkmale, die von der individuellen Ausprägung bestimmter Hirnstrukturen bestimmt werden. Deren Entwicklung aber hängt nicht nur vom Genom, sondern auch von der Umwelt ab, die erhebliche Modifikationen der genetisch vorgegebenen Vernetzung von Nervenzellen bewirken kann. Welchen Anteil diese beiden Faktoren bei der Ausbildung von Charaktereigenschaften haben, ist außerordentlich schwer zu bestimmen. Weil aber die spezifische Ausformung des Gehirns von dem Zusammenwirken einer riesigen Zahl ganz unterschiedlicher Gene und zusätzlich auch noch von Umwelteinflüssen bestimmt wird, erscheint ausgeschlossen, dass sich monokausale Beziehungen zwischen bestimmten Genen und Verhaltensdispositionen oder Charaktereigenschaften finden werden. Der Sorge, Eingriffe in das menschliche Genom könnten eingesetzt werden, um Menschen mit ganz bestimmten Charaktereigenschaften zu erzeugen, kann also mit Argumenten aus der Wissenschaft selbst am überzeugendsten begegnet werden. Gentechnik taugt nicht zur Realisierung von Zarathustras Visionen. ... Weil sich aber evolutionäre Prozesse der Planbarkeit verweigern und gezielte Eingriffe ungewollte Folgen zeitigen können, kann und muss auch hier jedweden Züchtungsutopien mit wissenschaftsimmanenten Argumenten begegnet werden. ... Kriterien für verantwortliches Handeln können demnach nur von konsensfähigen Nahzielen abgeleitet werden, die sich wohl meistens an der Sehnsucht nach Leidensminimierung und Stabilität ausrichten lassen. ... Natürlich müssen sich Gesellschaften Normen geben, die für das individuelle Verhalten verbindlich sind. Aber diese dürfen sich nur an pragmatischen Kriterien, an überkommenen, ethischen Setzungen, an präzisem Faktenwissen und rationalen Diskursen orientieren, nicht aber an vermeintlichem Herrschaftswissen." (17) R. Spaemann: "Sloterdijk hält diesen Widerstand für falsch. Er scheint auf der Seite derer zu sein, die glauben, in diesem Augenblick die Evolution der Naturwüchsigkeit entreißen und bewusst steuern zu sollen. Von den Kritikern dieses Gedankens zeichnet er eine lächerliche Karikatur. Dass es vor allem Naturwissenschaftler sind, die solche Pläne für vollkommen phantastisch halten, wird nicht erwähnt. ... Da Peter Sloterdijk nun einmal eine öffentliche Debatte in Gang gebracht hat, an der er offenbar auch weiter teilzunehmen wünscht, schlage ich vor, dass er sich das dafür erforderliche biologische Rüstzeug nachträglich möglichst schnell beschafft und dass er sich mit dem Stand der bioethischen Debatte vertraut macht. Dann wird man ihm mit mehr Gewinn zuhören." |
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