ENZYKLIKA FIDES ET RATIO VON PAPST JOHANNES PAUL II AN DIE BISCHÖFE DER KATHOLISCHEN KIRCHE ÜBER DAS VERHÄLTNIS VON GLAUBE UND VERNUNFT [Vortrag vor der GKP (Gesellschaft für kritische Philosophie Nürnberg) am 02.06.1999] Die als Link gekennzeichneten Fußnoten lassen sich per Mausklick ansteuern, Das Verhältnis von Glaube und Vernunft zu behandeln, mag in einer "Gesellschaft für kritische Philosophie" womöglich für überflüssig gelten, die sich "Aufklärung und Kritik" auf das Panier geschrieben hat. Scheint unter einem solchen Ansatz doch der Glaube zu Nichts zu werden, hingegen scheint die Vernunft Alles. Aber täuschen wir uns nicht: Erstens sehen wir, daß der größte Teil der Menschheit über alle Kulturen hinweg sich von einem mehr oder weniger konkreten "Glauben" bestimmen läßt, der meist im Gewand der Religion auftritt. Zweitens verbirgt sich mit Ausnahme des Relativismus hinter allen rationalen Weltbildern ebenfalls eine Wertentscheidung, die nicht aus der Sphäre der Ratio selbst stammt und sich daher ebenfalls als "Glaube" im weiteren Sinne bezeichnen läßt. So mag es denn nicht uninteressant sein, an einem konkreten und aktuellen Beispiel dieses Verhältnis von "Fides et Ratio" zu überprüfen, wie Papst Johannes Paul II. seine im September 1998 erschienene Enzyklika überschrieben hat. Dabei handelt es sich um ein päpstliches Sendschreiben an die "Ehrwürdige[n] Brüder im Bischofsamt", das mit etwa 50 engbeschriebenen DIN-A4-Seiten recht umfangreich ist und sich mit Einleitung und Schluß in 9 Abschnitte teilt: EINLEITUNG KAPITEL I KAPITEL II KAPITEL III KAPITEL IV KAPITEL V KAPITEL VI KAPITEL VII SCHLUSS Daraus lassen sich der Gedankengang wie auch der hochgesteckte Anspruch des Papstes ersehen, der am Ende seiner Amtszeit wie des Jahrtausends einerseits diese beiden Gebiete möglichst eng aneinander annähern möchte, um dem offensichtlichen Widerspruch zwischen Glaube und Vernunft möglichst entgegenzuwirken, und sie andererseits doch voneinander abgrenzen muß, um seiner Kirche ihr Terrain zu sichern. Diese Tendenz verdeutlicht eine Bemerkung, die in der ZEIT(1) vom früheren CERN-Chef Herwig Schopper berichtet wird; Papst Johannes Paul II. habe sich bei seinem Besuch in der Beschleunigeranlage besonders eindringlich nach dem Stand der Antimaterieforschung erkundigt: "Materie und Antimaterie, Himmel und Hölle, Christ und Antichrist, so habe der Oberhirte Wojtyla gemunkelt – ob da vielleicht ein Zusammenhang bestehe?" Bei der Auslegung wissenschaftlicher Theorien ebenso wie der Bibel kommt es eben darauf an, welche Deutung und Bedeutung wir einer bestimmten Beobachtung bzw. Aussage geben, d.h. vor allem, auf welchem Hintergrund wir sie betrachten. Dessen ist sich natürlich auch Wojtyla bewußt, und so zurrt er diesen zunächst einmal auf seine Weise fest: Nicht ungeschickt singt er daher in der Einleitung ein Loblied auf die Philosophie und erkennt ihre Bedeutung an. In der Wendung zu deren heutiger Situation fällt es ihm dann nicht schwer, so fortzufahren: [Einleitung 5.] So kam es, daß sich die Vernunft, anstatt die Spannung zur Wahrheit bestmöglich auszudrücken, unter der Last des vielen Wissens über sich selbst gebeugt hat und von Tag zu Tag unfähiger wurde, den Blick nach oben zu erheben, um das Wagnis einzugehen, zur Wahrheit des Seins zu gelangen. Die moderne Philosophie hat das Fragen nach dem Sein vernachlässigt und ihr Suchen auf die Kenntnis vom Menschen konzentriert. Anstatt von der dem Menschen eigenen Fähigkeit zur Wahrheitserkenntnis Gebrauch zu machen, hat sie es vorgezogen, deren Grenzen und Bedingtheiten herauszustellen. Mit dieser zum Teil berechtigten Kritik wird aber zugleich der Spaltpilz zwischen Wissen und Glauben eingeschmuggelt: den "Wahrheiten" des Wissens, um deren Bedingtheit und Begrenzung sich man heute nur noch bemühe, wird die "Wahrheit des Seins" gegenübergestellt. Damit ist Platz geschaffen für zwei angeblich verschiedene Wissensarten, auf denen die ganze Enzyklika fußt: Fides et Ratio. Auf diese Weise wird bereits ganz zu Anfang eine falsche Aufspaltung der "Erkenntnis-Arten" vorgenommen, der fatale Dualismus des menschlichen Denkens hinsichtlich "Materie und Geist", "Diesseits und Jenseits" wird in die "Wirklichkeit" verlegt. Darauf aufbauend kann dann die "Quelle" jener "Wahrheit des Seins" benannt werden, die intelligentia fidei; damit wird bekräftigt, [8.]: ...daß es außer der Erkenntnis der menschlichen Vernunft, die auf Grund ihrer Natur den Schöpfer zu erreichen vermag, eine Erkenntnis gibt, die dem Glauben eigentümlich ist. Diese Erkenntnis ist Ausdruck einer Wahrheit, die sich auf die Tatsache des sich offenbarenden Gottes selbst gründet und Wahrheitsgewißheit ist, weil Gott weder täuscht noch täuschen will.(2) Zunächst überrascht nicht nur die intime Gotteskenntnis seitens der katholischen Kirche (ist es doch eine Behauptung der menschlichen Vernunft, daß Gott täuschungsunfähig sei – einem "gütigen Gott" könnte sehr wohl daran gelegen sein, "seine" Menschen über ihre wahre Lage zu täuschen ebenso wie wir versuchen, unsere Kinder eine "heile Realität" erleben zu lassen...); nicht berücksichtigt wird vor allem, daß sich menschliche Empfänger der "Wahrheitsbotschaft" bei der "Entgegennahme" derselben selbst täuschen könnten. [12/13.] Das Geheimnis und seine Offenbarung: Nun haben alle Menschen in Christus Zugang zum Vater; durch seinen Tod und seine Auferstehung hat er das göttliche Leben geschenkt, das der erste Adam ausgeschlagen hatte (vgl. Röm 5, 12-15). Mit dieser Offenbarung wird dem Menschen die letzte Wahrheit über sein Leben und über das Schicksal der Geschichte angeboten ... Außerhalb dieser Sicht bleibt das Geheimnis der menschlichen Person ein unlösbares Rätsel. Wo sonst als in dem Licht, das vom Geheimnis der Passion, des Todes und der Auferstehung Christi ausstrahlt, könnte der Mensch die Antwort auf so dramatische Fragen suchen wie die des Schmerzes, des Leidens Unschuldiger und des Todes?
Wenn sich der Glaube wider die Vernunft setzt, die daran ja bekanntlich "Ärgernis" nimmt, so verbleibt gar kein anderes Mittel, als sich ins Geheimnis zu flüchten und zirkulär jenes zu Glaubende in eine "außermenschliche Offenbarung" zu verlegen, deren "Außermenschlichkeit damit bereits dualistisch vorausgesetzt wird. Die "Zeichen" können nur deshalb etwas "zeigen", weil ihnen bereits von dieser "menschlichen Vernunft" vorher "höhere Wirklichkeit" zuerkannt wurde, die sich als "Offenbarung" der Nachprüfung durch eben diese Vernunft entzieht: Resignation der Vernunft an der falschen Stelle. Was sich in der Zeitenwende auf der Basis von Wensensschau und Idealismus als neues Welterleben der Vernunft einst existentiell offenbarte (vom im Diesseits möglichen Heil des Verstandes zum unaufhebbaren Unheil der Vernunft und der daraus folgenden Jenseits-Verlagerung), war zunächst weniger ein "Geheimnis" als eine geglaubte "Tatsache", auch schon bei Sokrates und Platon; zum Geheimnis mußten diese "Glaubenstatsachen" deshalb werden, weil die Selbstaufklärung der Vernunft voranschritt, der Glaube hingegen stehenblieb. Je weniger in dieser Bewegung "die Glaubenstatsachen" dem "natürlichen Licht" des Menschen entsprechen, desto "geheimnisvoller" bzw. "mysteriöser" werden diese, und umso mehr muß in notwendiger Folge der Unterschied von einer zunächst einheitlichen Vernunft, wie sie sich etwa im Hylemorphismus (der Zusammensetzung von Stoff und Form) des Aristoteles(3) zeigt, in zwei verschiedene "Erkenntnisarten" eingeführt werden. [18-21.] Einschränkungen der Vernunft: ... daß die Vernunft einige Grundregeln beachten muß, um der ihr eigenen Natur bestmöglich Ausdruck geben zu können. Die erste Regel besteht in der Berücksichtigung der Tatsache, daß das Erkennen des Menschen ein Weg ist, der keinen Stillstand kennt; die zweite entsteht aus dem Bewußtsein, daß man sich auf diesen Weg nicht mit dem Hochmut dessen begeben darf, der meint, alles sei Frucht persönlicher Errungenschaft; eine dritte Regel gründet auf der »Gottesfurcht«: die Vernunft muß Gottes souveräne Transzendenz und zugleich seine sorgende Liebe bei der Lenkung der Welt anerkennen. Hier das "Apriori" der Offenbarung, der Selbstmißverstand der Vernunft ihrer selbst: Durfte der Mensch in der Rezeption der Vernunft und in der Ent-Wicklung von deren eigenständigem "Heiligen" dieses neue "Selbst-Bewußtsein" und dessen Bezogenheit noch metaphysisch verrechnen (für das Abendland etwa über Sokrates, Platon, Aristoteles – das Daimonion, die Göttlichkeit des "Guten" und der "Formen") und damit die Weltreligionen vorbereiten, die auf das Wesen des Menschen abheben, so weiß das "menschliche Licht" heute darum, daß es diese Form der Weltinterpretation durchaus sich selbst zurechnen darf und muß. "Überraschte" sich die Menschheit einst selbst mit diesen ihr zunächst "fremdartigen" Erkenntnissen der eigenen Vernunft und verlegte sie deshalb in "demütigem Zusammensinken" "über sich selbst hinaus", so stellt heute ein Beharren auf dieser durch die Selbstreflexion der Vernunft eingeholten Fehlinterpretation unter anderem einen Verstoß gegen die gerade aufgestellte "Grundregel 1" dar: hier ist Stillstand eingetreten. [19.] ...In der Antike fiel das Studium der Naturwissenschaften großenteils mit dem philosophischen Wissen zusammen. Nachdem der heilige Text [AT, Buch der Weisheit] ausgeführt hat, daß der Mensch mit seinem Verstand in der Lage ist, ... zu philosophieren, vollzieht er einen sehr bemerkenswerten Schritt nach vorn. Während der Verfasser das Denken der griechischen Philosophie aufgreift, auf das er sich in diesem Zusammenhang offensichtlich bezieht, erklärt er, daß man eben durch vernünftiges Nachdenken über die Natur wieder auf den Schöpfer zurückkommen könne: »Denn von der Größe und Schönheit der Geschöpfe läßt sich auf ihren Schöpfer schließen« (Weish 13, 5). Es wird also eine erste Stufe der göttlichen Offenbarung anerkannt, die aus dem wunderbaren »Buch der Natur« besteht; liest der Mensch dieses Buch mit den seiner Vernunft eigenen Mitteln, kann er zur Erkenntnis des Schöpfers gelangen. Wenn der Mensch mit seinem Verstand Gott, den Schöpfer von allem, nicht zu erkennen vermag, dann liegt das nicht so sehr am Fehlen eines geeigneten Mittels als vielmehr an dem Hindernis, das ihm von seinem freien Willen und seiner Sünde in den Weg gelegt wurde. Neben dem teleologischen Gottesbeweis, der in Analogie zur menschlichen finalen Handlungsweise(4) von der Zweckmäßigkeit und Ordnung in der Natur auf den Schöpfer schließt, werden hier sogleich die "Folterwerkzeuge" vorgezeigt, mit denen der Mensch in jenen Stillstand des Glaubens gezwungen werden soll: Die Vernunft selbst sei zwar göttlich und völlig in Eines mit dem Glauben, aber sie sei durch den Menschen selbst quasi verunreinigt und blind; deshalb helfe hier nur die "Glaubensoffenbarung" weiter, und wer an dieser Stelle statt dessen mit der Vernunft meint "weitergehen" zu können, "vergeht" sich angeblich – der "freie Wille" und noch mehr die "Erbsünde" sind die Zuchtmittel, mit denen der Machtanspruch einer bestimmten und rückständigen Ausprägung der Vernunft durchgesetzt werden soll. Ein guter Psychologe zeigt nach der Peitsche das Zuckerbrot vor – und so wird es dann poetisch: [21.] ... Beim Nachdenken über diese seine Lage hat der biblische Mensch entdeckt, daß er sich nur begreifen kann, insofern er »in Beziehung steht«: in Beziehung zu sich selbst, zum Volk, zur Welt und zu Gott. Diese Öffnung für das Geheimnis, die ihm von der Offenbarung zukam, war schließlich für ihn die Quelle einer wahren Erkenntnis, die seiner Vernunft das Eintauchen in die Räume des Unendlichen erlaubte, wodurch er bis dahin unverhoffte Verständnismöglichkeiten erhielt. Das ist nichts als Glaubens-Poesie, denn ein solcher gehört wahrlich dazu, um es für möglich zu halten, in ein "unverhofftes und unendliches Wahrheitsmeer" einmünden zu können; ganz nebenbei und ohne Begründung wird behauptet, daß "echte Kritik" nur in der "Torheit des Kreuzes" möglich sei, obwohl die menschliche Vernunft dazu ganz gut von sich aus in der Lage ist. Fides et Ratio, Religion und Philosophie: Der Papst gibt im folgenden einen geschichtlichen Überblick dieses Verhältnisses aus seiner Sicht, aus dem hier nur einige Stationen aufgegriffen werden können: [22.] Der Vernunft des Menschen wird also [von Paulus] eine Fähigkeit zuerkannt, die gleichsam ihre natürlichen Grenzen zu übersteigen scheint: nicht nur daß sie von dem Augenblick an, wo sie kritisch darüber nachdenken kann, nicht mehr in die sinnliche Erkenntnis verbannt ist, sondern auch durch das Argumentieren über die Sinneswahrnehmungen kann sie zu dem Grund vordringen, der am Anfang jeder sinnlich wahrnehmbaren Wirklichkeit steht. In philosophischer Fachsprache könnten wir sagen, daß in dem wichtigen Text die metaphysische Fähigkeit des Menschen bejaht wird. Adam, o Adam! So richtig hier der entwicklungsgeschichtliche Umschwung vom sinnlichen Verstand zur abstrahierenden Vernunft und deren eigenständiger Metaphysik gesehen wird, der sich bei den griechischen Vorsokratikern, den Propheten Israels und in der Umwandlung der brahmanischen Werkreligion beobachten läßt; so falsch wird dies gegen den Menschen gewendet: die trotz Vernunft und deren Metaphysik notwendig weiterbestehende und uneinsehbare Offenheit des Weltverlaufs und der Sinnfrage wird in einen Abfall vom "reinen Geist" gewendet – eine notwendige Folge des Umstandes, daß die Vernunft dem Weltgeschehen einen prästabilisierten "Heilsverlauf" meint unterschieben zu müssen. [26.] Nicht von ungefähr hat das philosophische Denken seine entscheidende Orientierung vom Tod des Sokrates her erhalten und ist seit über zweitausend Jahren davon geprägt geblieben. Es ist also durchaus kein Zufall, daß angesichts der Tatsache des Todes die Philosophen sich dieses Problems, zusammen mit der Frage nach dem Sinn des Lebens und der Unsterblichkeit, immer von neuem angenommen haben. Der Hahn für Asklepios(7) ... schon Nietzsche erregt sich über diesen sokratisch-christlichen Todesblick auf das Leben: es ist die Vernunft des Menschen, die sich gegen ihren Untergang wehrt und im Gegensatz zur vorgängigen leiblichen Unsterblichkeit der Verstandesreligionen dualistisch die Unsterblichkeit der "ewigen Seele" proklamiert. Mit Pilatus fragt der Papst dann: "Was ist Wahrheit?" und konstatiert deren verschiedene Ebenen: [30.] Es mag nützlich sein, diese verschiedenen Formen der Wahrheit im folgenden kurz zu erwähnen. Am zahlreichsten sind jene Formen, die auf unmittelbarer Einsichtigkeit beruhen oder durch Erprobung Bestätigung finden. Es handelt sich dabei um die Wahrheitsordnung des Alltagslebens und der wissenschaftlichen Forschung. Auf einer anderen Ebene sind die Wahrheiten philosophischen Charakters anzusiedeln, zu denen der Mensch durch die spekulative Kraft seines Verstandes gelangt. schließlich gibt es die religiösen Wahrheiten, die in gewissem Maße auch in der Philosophie verwurzelt sind. Enthalten sind sie in den Antworten, welche die verschiedenen Religionen in ihren Traditionen auf die letzten Fragen geben. Hier wird zunächst also die richtige Unterscheidung zwischen sinnlicher Wahrnehmung und abstrahierender Wesenserkenntnis und deren verschiedene Wahrheitskriterien konstatiert; dies wird dann aber sogleich dazu mißbraucht, um eine "dritte Erkenntnisweise", die religiöse, einzuführen, ohne daß uns gesagt würde, mit welchen Mitteln diese denn arbeitet, so, wie dies etwa Aristoteles für die Vernunft mit der Dialektik angibt. Um für diese "religiöse Erkenntnisweise" dennoch Gehalt zu gewinnen, wird von der rationalen auf die existentielle Sphäre übergegangen; dazu verweist Wojtyla auf die lebendige Kommunikation von "Ich und Du" (s. etwa Feuerbach, den Lange den "Erfinder des Tuismus" nennt(8), oder Bubers gleichnamiges Buch), aus der sich das Ich und die "Wahrheit der Person" erst gewänne. Diese Bedingungen der menschlichen Existenz sind der wissenschaftlichen Beobachtung jedoch durchaus zugänglich im Rahmen einer Anthropologie, die den Menschen vor allem auch als Sozialwesen faßt. Keinesfalls gibt die Verwiesenheit des Menschen auf die Kommunikation mit seinesgleichen ein Fundament dafür ab, um damit "religiöse Wahrheiten" oder ein "Sondermedium der Glaubenserkenntnis" aufzustellen. [36.] Da diese natürliche Erkenntnis jedoch in der heidnischen Religion zum Götzendienst verkommen [!] war (vgl. Röm 1, 21-32), hielt es der Apostel für klüger, seine Rede mit dem Denken der Philosophen zu verknüpfen, die von Anfang an den Mythen und Mysterienkulten Gedanken entgegengesetzt hatten, die der göttlichen Transzendenz größere Achtung entgegenbrachten. Die Gottesvorstellung der Menschen von mythologischen Formen zu reinigen, war in der Tat eine der größten Anstrengungen, die die Philosophen des klassischen Denkens unternommen haben. Wie wir wissen, war auch die griechische Religion, nicht anders als die meisten kosmischen Religionen, polytheistisch. Dabei ging sie so weit, daß sie Dinge und Naturphänomene vergöttlichte. Die Versuche des Menschen, den Ursprung der Götter und in ihnen des Universums zu begreifen, fanden ihren ersten Ausdruck in der Dichtkunst. Die Theogonien sind bis heute das erste Zeugnis dieser Suche des Menschen. Aufgabe der Väter der Philosophie war es, den Zusammenhang zwischen Vernunft und Religion sichtbar zu machen. Da sie den Blick auf allgemeine Prinzipien hin ausweiteten, gaben sie sich nicht mehr mit alten Mythen zufrieden, sondern wollten ihrem Glauben an die Gottheit eine rationale Grundlage geben. So wurde ein Weg eingeschlagen, der, ausgehend von den einzelnen alten Überlieferungen, in eine Entwicklung einmündete, die den Anforderungen der allgemeinen Vernunft entsprach. Das Ziel, das diese Entwicklung anstrebte, war das kritische Bewußtsein dessen, woran man glaubte. Dieser Weg schlug sich positiv zunächst in der Gottesvorstellung nieder. Formen von Aberglauben wurden als solche erkannt, und die Religion wurde durch die Kraft der rationalen Analyse wenigstens zum Teil geläutert. Auf dieser Grundlage begannen die Kirchenväter einen fruchtbaren Dialog mit den antiken Philosophen und bahnten so der Verkündigung und dem Verständnis des Gottes Jesu Christi den Weg. Diese Schilderung verträgt sich – jedenfalls analog übertragen – recht gut mit der Auffassung, wie sie hier bereits in "Christentum und Evolution" über den Weg von den Verstandesreligionen zur Vernunftreligion, vom Polytheismus zum Monotheismus als einer notwendigen Bewegung im Lichte der Abstraktion = Rezeption der Vernunft vorgetragen wurde. Wojtyla gibt allerdings eher eine erzählende Schilderung, als daß er den inneren Grund dieser Bewegung des menschlichen Geistes anzugeben wüßte. Unsinn ist es allerdings, die heidnische Religion als "verkommen" zu bezeichnen: dann müßte diese ja irgendwo "vorher" eine größere Höhe gehabt haben; es ist die Vernunft, die den Glauben des Verstandes, indem sie sich über ihn erhebt, abwertet, statt die Notwendigkeit dieser Differenz zu verstehen. Im nächsten Schritt hat sich schließlich gerade das Christentum all den Aberglauben des Verstandes selbst wieder einverleibt, um auch die Menschen jener "Denkungsart" zu erreichen. Und als ob es nicht gerade die "heidnischen" Mysterienkulte gewesen wäre, aus denen das "Geheimnis der Auferstehung des Fleisches" destilliert wurde! Jedenfalls: Ohne die griechische Metaphysik kein Christentum. Beide sind ja die zusammengehörigen Kinder einer Mutter; ohne diesen Einbau der Ergebnisse der menschlichen Vernunft wäre das Christentum eine mythologische Episode geblieben. Sodann behauptet der Papst, das Christentums habe sich um die Bestätigung des Rechtes aller auf Zugang zur Wahrheit bemüht: [38/39.] ...Das Christentum hatte nach dem Niederreißen der durch Rasse, sozialen Stand und Geschlecht bedingten Schranken von Anfang an die Gleichheit aller Menschen vor Gott verkündet. Die erste Konsequenz dieser Auffassung wandte man auf das Thema Wahrheit an. Der elitäre Charakter, den die Wahrheitssuche bei den Alten hatte, wurde mit Entschlossenheit überwunden: Da der Zugang zur Wahrheit ein Gut ist, das es ermöglicht, zu Gott zu gelangen, müssen alle in der Lage sein, diesen Weg gehen zu können. Das ist eine glatte Lüge in mehrfacher Hinsicht: Zur Durchsetzung der Gleichheit aller Menschen mußte erst Luther aufstehen, um dem Individuum diesen Zugang zu eröffnen! Hinter der "Gleichheit vor Gott" verbirgt sich die schamhaft verschwiegene Tatsache, daß der Katholizismus die Menschen im Diesseits sehr lange in Ungleichheit gefangen hielt, um sich die einträgliche Vermittlung mit dem "Göttlichen" selbst vorzubehalten! Vor allem aber verdankt sich der Gleichheitsgedanke keinesfalls dem Christentum, sondern umgekehrt wird ein Schuh daraus: das Christentum ist eine Folge der Erkenntnis des gleichen Wesens aller Menschen durch die Vernunft, und seine Ausformulierung dieses grundlegenden Gedankens geht in der Lehre, noch mehr aber in deren realen Anwendung häufig fehl mit all den schrecklichen Auswirkungen, die sowohl bei seiner Ausbreitung, noch mehr aber nach seiner Machtergreifung zunächst im römischen Staat und der Kirchengeschichte bis heute zu beobachten sind. ... Hauptzweck der griechischen Philosophie ist für den Alexandriner nicht die Ergänzung oder Stärkung der christlichen Wahrheit; ihre Aufgabe ist vielmehr die Verteidigung des Glaubens: »In sich vollendet und keiner Ergänzung bedürftig ist die Lehre im Sinne des Erlösers, da sie göttliche Kraft und Weisheit ist. Wenn aber die griechische Weisheit hinzukommt, so macht sie die Wahrheit zwar nicht wirksamer, aber weil sie die sophistischen Angriffe entkräftet und die listigen Angriffe gegen die Wahrheit abwehrt, ist sie mit Recht Zaun und Mauer des Weinbergs genannt worden«. [Clemens Alexandrinus] In der Geschichte dieser Entwicklung läßt sich jedenfalls die kritische Übernahme des philosophischen Denkens seitens der christlichen Denker feststellen. Unter den ersten Beispielen, denen man begegnen kann, ist Origenes sicher von maßgebender Bedeutung. Um auf die vom Philosophen Kelsos [Celsus] erhobenen Angriffe zu antworten und ihnen zu entgegnen, übernimmt Origenes die platonische Philosophie. Unter Einbeziehung zahlreicher Elemente des platonischen Denkens geht er daran, zum ersten Mal so etwas wie eine christliche Theologie zu erarbeiten. Der Name Theologie ebenso wie die Vorstellung von ihr als vernünftiges Reden über Gott war nämlich bis dahin noch an ihren griechischen Ursprung gebunden. In der aristotelischen Philosophie zum Beispiel bezeichnete der Ausdruck den vornehmsten Teil und eigentlichen Höhepunkt der philosophischen Erörterung. Was vorher auf eine allgemeine Lehre über die Götter hindeutete, bekam hingegen im Lichte der christlichen Offenbarung eine ganz neue Bedeutung, weil Theologie nunmehr das Nachdenken bezeichnete, das der Glaubende vollzog, um die wahre Lehre über Gott zu formulieren. Dieses in ständiger Weiterentwicklung begriffene neue christliche Denken bediente sich der Philosophie, war aber gleichzeitig auf klare Unterscheidung von ihr bedacht. Die Geschichte zeigt, daß das in die Theologie übernommene platonische Denken selbst tiefgreifende Veränderungen erfahren hat, besonders was Begriffe wie Unsterblichkeit der Seele, Vergöttlichung des Menschen und Ursprung des Bösen betrifft. Clemens spürt die Gefahr, die von der Verbindung mit der griechischen Philosophie ausgeht, und so versucht er, deren Beitrag allein auf die Apologie zu beschränken. Die Gnosis hatte gezeigt, wozu eine Identifikation von griechischer Philosophie und Christentum führen würde; Jesus wäre zu einem "Weisheitslehrer" mehr neben Platon und Aristoteles "herabgesunken", die "Einzigkeit" wäre verlorengegangen – deshalb mußten "tiefgreifende Veränderungen" vorgenommen werden, die heute zum "Geheimnis" erklärt werden müssen. Und so konnte gerade im Rückgriff auf die griechischen Denker und in der Wiederherstellung von deren eigentlichen Gedanken ohne diese "Veränderungen" in der Renaissance der Boden für Aufklärung und Neuzeit bereitet werden. Der Papst weiter: [40/41.] Besondere Erwähnung verdienen in diesem Christianisierungswerk des platonischen und neuplatonischen Denkens die Kappadokier, Dionysios Areopagita und vor allem der hl. Augustinus. Der große abendländische Gelehrte war mit verschiedenen philosophischen Schulen in Kontakt gekommen, doch hatten ihn alle enttäuscht.... Dem Bischof von Hippo gelang es, die erste große Synthese des philosophischen und theologischen Denkens zu erstellen, in die Strömungen des griechischen und lateinischen Denkens einflossen. Auch bei ihm wurde die große Einheit des Wissens, deren Ausgangspunkt und Grundlage das biblische Denken war, von der Gründlichkeit des spekulativen Denkens bestätigt und getragen. Die vom hl. Augustinus vollzogene Synthese sollte Jahrhunderte lang die höchste Form philosophischen und theologischen Denkens bleiben, die das Abendland gekannt hat.(9) ... Es gelang ihnen nämlich, das voll sichtbar werden zu lassen, was sich noch unausgesprochen und propädeutisch im Denken der großen antiken Philosophen andeutete. Sie hatten, wie gesagt, die Aufgabe zu zeigen, wie die von den äußeren Fesseln befreite Vernunft aus der Sackgasse der Mythen herausfinden könnte, um sich der Transzendenz auf angemessenere Weise zu öffnen. Eine geläuterte und aufrichtige Vernunft war also imstande, sich auf die höchsten Ebenen der Reflexion zu erheben, und schuf damit eine solide Grundlage für die Wahrnehmung des Seins, der Transzendenz und des Absoluten. Dies kann man durchaus unterschreiben, wenn man es vor allem auch funktional versteht als das mit der griechischen Philosophie beginnende und nun phylogenetisch wirksame Ausgreifen der Vernunft, und ebendeshalb beginnt mit dem Christentum eine "Zeitenwende". Wie immer man sie bewertet, kann man jedenfalls die Bedeutung Augustins für die Ausprägung des "abendländischen" Denkens kaum überschätzen. [43.] Ein ganz besonderer Platz auf diesem langen Weg gebührt dem hl. Thomas nicht nur wegen des Inhalts seiner Lehre, sondern auch wegen der Beziehung, die er im Dialog mit dem arabischen und jüdischen Denken seiner Zeit herstellen konnte. In einer Epoche, in der die christlichen Denker die Schätze der antiken, genauer der aristotelischen Philosophie wiederentdeckten, kam ihm das große Verdienst zu, daß er die Harmonie, die zwischen Vernunft und Glaube besteht, in den Vordergrund gerückt hat. Das Licht der Vernunft und das Licht des Glaubens kommen beide von Gott, lautete sein Argument; sie können daher einander nicht widersprechen. [44.] »Die Weisheit, die zu den Gaben des Heiligen Geistes zählt, unterscheidet sich von jener (Klugheit), die zu den Tugenden des Verstandes gehört. Diese letztere nämlich erwirbt man sich durch das Studium: jene hingegen "kommt von oben", wie es der hl. Jakobus ausdrückt. So ist sie auch verschieden vom Glauben. Denn der Glaube nimmt die göttliche Wahrheit so an, wie sie ist: Eigenart der Gabe der Weisheit ist es hingegen, gemäß der göttlichen Wahrheit zu urteilen«. Richtig ist es, wie der Aquinat "Klugheit" und "Weisheit" zu unterscheiden, falsch allerdings, dies dualistisch zu tun. Klugheit ist die instrumentelle Anwendung der Vernunft als Mittel, die als funktionale prinzipiell (wenn es die Anlagen in Bezug auf die notwendige Abstraktionsfähigkeit hergeben) jedem Mitglied der Spezies offen steht; Weisheit hingegen ist, die Ergebnisse aus der Anwendung der funktionalen Vernunft auf das Menschsein in die eigene Existenz einzubauen und damit deren Zweck zu setzen ("hominum paucorum"). Wozu eine allein auf sich selbst stehende instrumentelle Vernunft fähig ist, wird zu Recht kritisiert: Thomas schafft aus dem aristotelischen Denken heraus seine Synthese unter dem Primat des Glaubens (die Vernunft hilft dem Glauben); der entgegengesetzte Punkt dieser Bewegung ist Hegels Geschichtsdialektik, die unter dem Primat der Vernunft steht, nachdem sich die Vernunft über Descartes und die Aufklärung gegenüber dem Glauben emanzipiert hatte (der Glaube hilft der Vernunft). Auch Wojtyla hat das erkannt einschließlich der Verwandlung eines solchen falschen Idealismus in Ideologie (Kommunismus, Faschismus): [46.] Einige Vertreter des Idealismus haben auf verschiedenste Weise versucht, den Glauben und seine Inhalte, ja sogar das Geheimnis vom Tod und Auferstehung Jesu Christi, in rational faßbare dialektische Strukturen umzuwandeln.... Sie scheuten sich nicht, sich als neue Religionen zu präsentieren; damit war die Ausgangsbasis für Zielsetzungen geschaffen, die sich auf der politisch-gesellschaftlichen Ebene zu totalitären Systemen und damit zu einem Trauma für die Menschheit auswuchsen. In analogisierter Weise wird man diesem Satz nur zustimmen können, wenn man für den christlichen Glauben Wojtylas allgemeiner einsetzt den existentiellen Willen zur Transzendenz über das Individuelle und über das Allgemeine hinaus im Sinne einer kulturellen Evolution der Menschheit. Der Angriff gilt (zu Recht) der letzten verbliebenen und "nacktesten" Ideologie, dem Kapitalismus, der als Utilitarismus auf der funktionalen Seite der Vernunft den Gegensatz zum Idealismus bildet. In ihm vergöttert sich der Selbstbezug des die Transzendenz verweigernden Menschen, dem darum entweder alles erlaubt ist (Relativismus), oder der glaubt, alles was ist und sein wird, von seiner Wissensperspektive her bestimmen zu können (Szientismus). Und auch noch der angelsächsische "Pragmatismus" schöpft seine Anschauungen aus diesem Selbstbezug: er entschlägt sich jeglicher Transzendenz, indem er sich auf die (angeblich) als letztgültig und richtig erkannten Werte der Vernunft zurückzieht, die aus der Wesensgleichheit der Menschen (und sogar von Tieren, sei es in "Bewußtheit" oder "Empfindung") hervorgegangen sind, und resigniert einem versteckten Idealismus huldigt. Ähnlich wie im Szientismus wird trotz "Verbots" dabei aus dem "Sein" ein "Sollen" extrahiert. Es kommt aber nicht darauf an, für all die verschiedenen Ausprägungen von Verstand und Vernunft ein gleiches Sollen zu konstatieren, sondern das Wollen all der verschiedenen Individuen in einer über diese Individuen hinausweisenden Weise zu bündeln. Darauf macht Wojtyla auf seine Art aufmerksam: Die Aufrechterhaltung des Glaubens-Primats [53.] Es mußte also gegenüber jeder Art von Rationalismus der Unterschied der Glaubensgeheimnisse von den philosophischen Entdeckungen und die Transzendenz und Priorität jener gegenüber diesen bekräftigt werden; andererseits war es notwendig, den fideistischen Versuchungen gegenüber die Einheit der Wahrheit und somit auch den positiven Beitrag zu betonen, den die Vernunfterkenntnis für die Glaubenserkenntnis leisten kann und soll: »Aber auch wenn der Glaube über der Vernunft steht, so kann es dennoch niemals eine wahre Unstimmigkeit zwischen Glaube und Vernunft geben: denn derselbe Gott, der die Geheimnisse offenbart und den Glauben mitteilt, hat in den menschlichen Geist das Licht der Vernunft gelegt; Gott aber kann sich nicht selbst verleugnen, noch (kann) jemals Wahres Wahrem widersprechen«. Zwar wird ein allzu glaubensseliger Aberglaube verworfen ("fideistische Versuchungen"), aber es bleibt das Dilemma der Vernunft im Dienste des Glaubens: sie weiß es aus sich selbst heraus, daß sich Glaubens- und Vernunftwahrheiten nicht widerstreiten dürfen – und so bleibt ihr angesichts jener bereits die funktionale Vernunft zum "Ärgernis" zwingenden "übernatürlichen Glaubenstatsachen" in AT und NT nichts anderes übrig, als sich unter dem Primat des Glaubens in eine sie übersteigende "Offenbarung" und deren "Geheimnis" zu flüchten und auf "zwei Erkenntnisordnungen" zu bestehen. Nur in solch dualistischer Sehweise kann es ja den Primat der einen über die andere geben, wo es sich in Wirklichkeit nur um "Form und Inhalt", um das funktionale Vermögen und dessen existentielle Ergebnisse handelt. Sehr geschickt versucht dann Wojtyla die sich aus der Durchreflektierung der Vernunft ergebenden Probleme auf seine eigenen Mühlen zu leiten: [55.] Das gilt zum Beispiel für das radikale Mißtrauen gegen die Vernunft, das die jüngsten Entwicklungen vieler philosophischer Studien an den Tag legen. Von mehreren Seiten war diesbezüglich vom »Ende der Metaphysik« zu hören: man will, daß sich die Philosophie mit bescheideneren Aufgaben begnügt, sich also nur der Erklärung des Tatsächlichen oder der Erforschung nur bestimmter Gebiete des menschlichen Wissens oder seiner Strukturen widmet. In der Theologie selbst tauchen wieder die Versuchungen von einst auf. In einigen zeitgenössischen Theologien bahnt sich zum Beispiel neuerdings ein gewisser Rationalismus seinen Weg, vor allem wenn angeblich philosophisch begründete Aussagen als normativ für die theologische Forschung übernommen werden. Das geschieht vor allem dann, wenn sich der Theologe aus Mangel an philosophischer Fachkenntnis auf unkritische Weise von Aussagen beeinflussen läßt, die zwar in die gängige Sprache und Kultur Eingang gefunden haben, aber ohne ausreichende rationale Grundlage sind. Es fehlt auch nicht an gefährlichen Rückfällen in den Fideismus, der die Bedeutung der Vernunfterkenntnis und der philosophischen Debatte für die Glaubenseinsicht, ja für die Möglichkeit, überhaupt an Gott zu glauben, nicht anerkennt. Ein heutzutage verbreiteter Ausdruck dieser fideistischen Tendenz ist der »Biblizismus«, dessen Bestreben dahin geht, aus der Lesung der Heiligen Schrift bzw. ihrer Auslegung den einzigen glaubhaften Bezugspunkt zu machen. Wojtyla schlägt hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe: er beklagt (in mancher Hinsicht zu Recht) die Verarmung der zeitgenössischen Philosophie, wenn sie sich unter Verlust der Dimension der Transzendenz zur Magd der Naturwissenschaften machen läßt – und er erhält den Primat des "Lehramts" für die Bibelauslegung aufrecht, die durch die Individualisierung und Pluralisierung die verschiedensten Blüten treibt. Es ist fast schon erstaunlich, wie sehr Wojtyla die philosophische Bildung der Lehramtskandidaten fordert – aber dahinter steht zuletzt wieder der Glaubens-Primat: Nur auf einer solchen Grundlage können dem Katholizismus Streiter erwachsen, welche die Angriffe der Wissenschaften und der radikalen Vernunft abwehren und den Primat verteidigen können. Dieser Primat gilt natürlich auch gegenüber der Theologie: Nicht der einzelne Theologe, sondern "das Lehramt" allein leitet den "auditus fidei" (Erkenntniskritik und Auslegung der theologischen Lehraussagen) und den "intellectus fidei" (Schriftauslegung und Glaubensaussagen) an. Dahinter verbirgt sich nichts anderes als der Unfehlbarkeitsanspruch. [67.] In demselben Maß wird die Fundamentaltheologie aufzeigen müssen, daß eine innere Vereinbarkeit zwischen dem Glauben und seinem wesentlichen Anspruch besteht, sich durch eine Vernunft darzustellen, die in der Lage ist, in voller Freiheit ihre Zustimmung zu geben. So wird der Glaube »einer Vernunft, die aufrichtig nach der Wahrheit sucht, voll den Weg weisen können. Auf diese Weise kann der Glaube als Geschenk Gottes, auch wenn er sich nicht auf die Vernunft stützt, sicher nicht auf sie verzichten; gleichzeitig erscheint es für die Vernunft notwendig, vom Glauben Gebrauch zu machen, um die Horizonte zu entdecken, die sie allein nicht zu erreichen vermöchte«. Indem der Glaube so auf sich selbst beharrend stehenblieb, entgeht es ihm, daß die Vernunft jene angeblich allein dem Glauben zugehörigen "Gebiete", "Gott" und seine "offenbarten Geheimnisse", sehr wohl allein auf rationalem Weg einzuholen vermag. Vielmehr stellt sich heute dieser alte Glaube der Vernunft in den Weg und verdeckt damit jene Horizonte, in Richtung auf welche wirkliche Transzendenz erst wiederzugewinnen wäre. Er gesellt sich damit in eine Reihe mit Relativismus und Szientismus. Der versteckte Universalitätsanspruch unter dem Deckmantel der religiösen Toleranz: [71.] Die Kulturen nähren sich aus der Mitteilung von Werten, und ihre Lebenskraft und ihr Bestand rührt von der Fähigkeit her, offen zu bleiben für die Aufnahme des Neuen. Welche Erklärung gibt es für diese dynamischen Kräfte? Jeder Mensch ist in eine Kultur verflochten, hängt von ihr ab und beeinflußt sie. Er ist zugleich Kind und Vater der Kultur, in der er eingebunden ist. In jeder seiner Lebensäußerungen trägt er etwas mit sich, was ihn aus der Schöpfung heraushebt: seine ständige Offenheit für das Geheimnis und sein unerschöpfliches Verlangen nach Erkenntnis. Infolgedessen trägt jede Kultur das Prägemal der auf eine Vollendung hin gerichtete Spannung an sich und läßt sie durchscheinen. Man kann daher sagen, die Kultur hat die Möglichkeit in sich, die göttliche Offenbarung anzunehmen. Abgesehen von der enthaltenen Teleologie und dem "Geheimnis" ist das alles noch ganz hübsch gesagt und läßt sich mit einer immanenten Auffassung vereinbaren. Aber: Die Verkündigung des Evangeliums in den verschiedenen Kulturen verlangt von den einzelnen Empfängern das Festhalten am Glauben; sie hindert die Empfänger aber nicht daran, ihre kulturelle Identität zu bewahren. Das erzeugt keine Spaltung, weil sich das Volk der Getauften durch eine Universalität auszeichnet, die jede Kultur aufnehmen kann, wodurch die Weiterentwicklung des in ihr implizit Vorhandenen hin zu seiner vollen Entfaltung in der Wahrheit begünstigt wird. Die Schlußfolgerung daraus ist, daß eine Kultur niemals zum Urteilskriterium und noch weniger zum letzten Wahrheitskriterium gegenüber der Offenbarung Gottes werden kann. Das Evangelium steht nicht im Gegensatz zu dieser oder jener Kultur, als wollte es ihr bei der Begegnung mit ihr das aberkennen, was zu ihr gehört, und sie zur Annahme äußerer Formen nötigen, die nicht zu ihr passen. Im Gegenteil, die Verkündigung, die der Gläubige in die Welt und in die Kulturen trägt, ist eine wirkliche Form der Befreiung von jeder durch die Sünde eingeführten Unordnung und zugleich Aufruf zur vollen Wahrheit. Bei dieser Begegnung wird den Kulturen nichts aberkannt; sie werden sogar ermuntert, sich dem Neuen zu öffnen, das die Wahrheit des Evangeliums enthält, um daraus Ansporn zu weiteren Entwicklungen zu gewinnen. Hier aber wird es problematisch, weil damit die "Universalität" allein für das Christentum behauptet wird, andere Hochreligionen aber offenbar nur als "Kultur" und als "Annäherung" gewertet werden, die nicht von gleicher "Universalität" seien – das "Evangelium" soll über allen anderen Kulturen stehen. Es werden zwar (zu Recht) etwa das indische Denken als dynamische "Suche (!) nach Befreiung" und die asiatischen Formen der Hochreligion als "große metaphysische Systeme" bezeichnet; aber der Katholizismus – und damit auch die Christen innerhalb jener Kulturen – darf sich nicht trennen von der "Inkulturation ins griechisch-lateinische Denken", womit willkürlich ein Vorrang des "westlichen Denkens" behauptet wird; vor allem aber bleibt das Entscheidende natürlich jenes "Geheimnis", das allein im Christentum vorhanden sein soll. Damit ist man den anderen Kulturen und Religionen zwar ein Stück entgegenkommen, wenn man an die vorherigen Formen der Missionierung denkt, nichtsdestoweniger aber werden diese auf Kosten des Alleinvertretungsanspruches der kath. Kirche hinsichtlich der Verwaltung des "wahren Heils" abgewertet. Notgedrungen, nämlich gezwungen von der menschlichen Vernunft und der sich daraus ergebenden Wesensgleichheit aller Menschen, ist man auch hier – wie gegenüber den Wissenschaften – geschmeidiger geworden. Verklausuliert, aber eindeutig wird der Vernunft der philosophierenden Theologen im Zusammenführen von Kulturen und Denksystemen der "rechte" Weg gewiesen: [73.] Dabei handelt es sich nicht einfach darum, in der theologischen Argumentation den einen oder anderen Begriff oder Bruchstücke eines philosophischen Gefüges zu verwenden; entscheidend ist, daß bei der Suche nach dem Wahren innerhalb einer Bewegung, die sich, ausgehend vom Wort Gottes, um dessen besseres Verständnis bemüht, die Vernunft des Glaubenden ihre Denkfähigkeiten einsetzt. Im übrigen ist klar, daß die Vernunft, wenn sie sich innerhalb dieser beiden Pole – Wort Gottes und sein besseres Verständnis – bewegt, gleichsam darauf hingewiesen, ja in gewisser Weise dazu angehalten wird, Wege zu meiden, die sie außerhalb der geoffenbarten Wahrheit und letzten Endes außerhalb der reinen, einfachen Wahrheit führen würden; sie wird sogar angespornt, Wege zu erforschen, von denen sie von sich aus nicht einmal vermutet hätte, sie je einschlagen zu können. Hier wird der erhobene Zeigefinger dann schon recht deutlich sichtbar: credo, ut intellegam. Eine Philosophie, die den Glauben und seine "Geheimnisse" annagt, ist verboten. Psychologisch gesehen eine denkbar schlechte Strategie, denn das Verbotene übt schon immer den größten Reiz aus. Und der Widerspruch zwischen naturwissenschaftlichen Gesetzen und etwa der "Menschwerdung eines Gottes" im Wege der "Jungfrauengeburt" kann durch ein Denkverbot nicht aufgehoben werden. Es ist ein Unding, der Vernunft auf ihrem ureigenen Zuständigkeitsgebiet, etwa der Aufhellung von "Wesenszusammenhängen des Seienden" (modern "Naturgesetze" genannt) "Geheimnisse" zumuten zu wollen. Die Unvereinbarkeit zwischen dem "menschlichen" und dem "göttlichen Licht" der Vernunft sowie zwischen der individuellen "Gewissensprüfung" (Luther) und der Fremd-Meinung eines "Lehramtes", das meint, sich zwischen "Gott und Individuum" drängen zu dürfen, zwingt dazu, sich vor allem erst einmal der eigenen Vernunft zu bedienen (Kant). Dennoch wird der Philosophie vom Papst, wenn sie sich innerhalb ihrer Begrenzungen halte, durchaus ein Recht sui generis eingeräumt: [75.] Da ist zuerst der Status der von der Offenbarung des Evangeliums völlig unabhängigen Philosophie: Gemeint ist die Philosophie, wie sie geschichtlich in den der Geburt des Erlösers vorausgehenden Epochen und danach in den vom Evangelium noch nicht erreichten Regionen Gestalt angenommen hat. In dieser Situation bekundet die Philosophie das legitime Bestreben, eine Unternehmung zu sein, die autonom ist; das heißt: sie geht nach ihren eigenen Gesetzen vor und bedient sich auschließlich der Kräfte der Vernunft. Dieses Bestreben muß man unterstützen und stärken, auch wenn man sich der schwerwiegenden, durch die angeborene Schwäche der menschlichen Vernunft bedingten Grenzen bewußt ist. Denn das philosophische Engagement als Suche nach der Wahrheit im natürlichen Bereich bleibt zumindest implizit offen für das Übernatürliche. Dies klingt auf den ersten Blick recht hübsch und generös, schneidet aber im Bestehen auf der Dualität der Erkenntnisweisen – wo allein die Christen über die "Offenbarung Gottes" verfügen – den Griechen die innerlich-lebendige Fähigkeit zur Transzendenz ab, obwohl man andererseits gezwungen war, genau dieses philosophische Denken der eigenen "Offenbarung" als Gerüst einzuziehen. Alles, was nicht Christentum ist, kann maximal das Stadium der "Annäherung" und der "Offenheit" an und gegenüber dem "Geheimnis" erlangt haben. Das "Offene" der Evolution wird zum "Übernatürlichen", der ganz natürliche Nichteinblick der Vernunft in das "Offene" als dasjenige, was ja erst noch werden will, wird zur "Schwäche" erklärt – Taschenspielertricks des Willens der Vernunft zu sich selbst in der vergöttlichten Projektion des eigenen Idealismus. [79.] Indem die geoffenbarte Wahrheit von dem Glanz her, der von dem subsistenten Sein selbst ausgeht, volle Erhellung über das Sein gewährt, wird sie den Weg der philosophischen Reflexion erleuchten. Die christliche Offenbarung wird somit zum eigentlichen Ansatz- und Vergleichspunkt zwischen philosophischem und theologischem Denken, die zueinander in einer Wechselbeziehung stehen Zunächst haben wir es hier mit leeren poetischen und zirkulären Bescwörungen zu tun, die nichts sagen oder gar zeigen: Wenn der "Glanz" des "subsistenten Seins" eben dieses "Sein" "erhellen" soll, handelt es sich um einen klassischen Zirkel. Sodann wird zwar die Wechselbeziehung von Vernunft und Glaube akzeptiert, zugleich aber der Primat des Glaubens zementiert. Wie sich dieser "Glanz des Seins" mit dem Bösen in der Welt verträgt, erklärt der Papst dann so: [80.] Auch das Problem des sittlich Bösen – die tragischste Form des Bösen – wird in der Bibel aufgegriffen, die uns sagt, daß es nicht auf irgendeinen durch die Materie bedingten Mangel zurückzuführen ist, sondern auf eine Wunde, die von einem ungeordneten Sich-Äußern der menschlichen Freiheit herrührt. Hier macht sich Wojtyla zur Begründung seiner "unverzichtbaren Forderungen" ausgerechnet den Gedanken des ersten echten Atheisten Spinoza zu eigen. Sehen wir einmal davon ab, daß diese "Wunde" ja sicherlich mit jener abstrusen "Erbsünde" zu identifizieren ist, so wird hier das Böse ganz ebenso wie bei Spinoza mit der "Unordnung" der eigentlich "göttlichen Attribute" identifziert. Mit seiner "Ethik" kommt es jenem darauf an, genau diese "richtige Ordnung" "wiederherzustellen" (ohne uns allerdings sagen zu können, woher eigentlich jene Unordnung, sprich das Böse, denn eigentlich stammt). Der Grundgedanke ist allerdings schon bei Platon angelegt, für den "Gerechtigkeit" in der richtigen Aufeinanderbeziehung von Begierde, Wille und Vernunft besteht. Im Bilde: Wo die Könige nicht Philosophen sind, herrscht notwendig keine Gerechtigkeit – bis heute. Und da dies so ist, sollte man den umgekehrten Schluß aller Gläubigen wie Idealisten ziehen: die Vorstellung der Vernunft, daß es in dieser Welt in irgendeiner Beziehung auf "Vollendung" oder "Ordnung" abgesehen sei, sei es durch das "Erscheinen des Sohnes im Fleisch", sei es durch die "rechte Zuordnung der verwirrten Attribute und Modi", ist schlicht falsch. Da hat denn schon eher Nietzsche recht: in einer Welt der Verschiedenheit – und ohne eine solche Verschiedenheit gäbe es überhaupt keine Welt – muß das Verschiedene sich notwendig aneinander stoßen. Wir können nicht das Stoßen selbst verhindern, sondern lediglich die Modi der Stoßensweise, und genau dazu ist auch heute noch die Vernunft aufgerufen. Dies ist auch der Gegensatz zu Nietzsches falscher Konsequenz aus einem richtigen Grundgedanken heraus: daß man jene "Viel-zu-Vielen" auch noch "stoßen" solle ... Schon Jacob Burckhardt schrieb zu Recht, daß eine solche Unethik empört. Diese Enzyklika redet uns Heutige am Ende der Metaphysik der Vernunft quasi von hinten her an, aus dem ehemaligen Zentrum der Vernunft(10); ihre Argumentation ist daher notwendig paradox: einerseits wird das Festhalten an der Metaphysik als unabdingbar bezeichnet, andererseits wird behauptet, das Transzendieren dieses eigenen Standpunkts sei ein Irrweg. Richtig ist, daß der Mensch am Transzendieren festhalten muß, also an einer über den Selbstbezug hinausweisenden Sinngebung für seine Existenz, falsch ist es, dies im Wege des Festhaltens an einer verbrauchten Metaphysik zu tun; die Vernunft hat im Wege ihrer Selbstreflexion ihr eigenes Heiliges vom Himmel herabgeholt, und das ist gut so, da ihr als Eigentliches ihre Ethik auf der Basis der Wesensgleichheit verblieben ist, die sich auch noch durch alle Philosophien des 20. Jh. zieht und heute unter dem nur schwer definierbaren Begriff "Humanismus" gehandelt wird.. Abhanden gekommen ist dieser Vernunft allerdings damit ihr Ziel, wofür dieses "Mittel" Ethik letztlich "gut" sein soll. Skepsis, Relativismus und Szientismus machen es hier dem Katholizismus (zu) leicht: [81.] Als Folge davon wird der menschliche Geist von einem zweideutigen Denken vereinnahmt, das ihn veranlaßt, sich noch mehr in sich selbst, in die Grenzen seiner Immanenz zu verschließen, ohne irgendeinen Bezug zur Transzendenz zu haben. Eine Philosophie, die nicht mehr die Frage nach dem Sinn des Daseins stellt, würde ernsthaft Gefahr laufen, die Vernunft zu rein instrumentalen Funktionen zu degradieren, ohne jegliche echte Leidenschaft für die Suche nach der Wahrheit. ... Diese Weisheitsdimension ist heute um so unerläßlicher, weil die enorme Zunahme der technischen Macht der Menschheit ein erneuertes und geschärftes Bewußtsein für die letzten Werte verlangt. Sollten diese technischen Mittel ohne Hinordnung auf ein Ziel bleiben, das nicht bloß vom Nützlichkeitsstandpunkt her bestimmt wird, könnten sie sich sehr schnell als inhuman herausstellen, ja sich in potentielle Zerstörer des Menschengeschlechts verwandeln.Daß der Relativismus falsch (und deshalb unerträglich) ist, folgt bereits aus dem Ethos der (Wesens-) Gleichheit der Vernunft, das dies im Eigentlichen ausmacht, und das "das Gute" für alle Menschen gegenüber dem "Schlechten" bevorzugt, basierend auf dem Nutzen des Verstandes und dem Angenehmen der Emotio. Jeder Mensch weiß in einer vergleichbaren Weise, daß er ganz bestimmte Zustände und Dinge "lieber" will als andere. Das "Gute" ist die Entfaltungsmöglichkeit aller in ihrer Eigenheit mit der Grenze der Eigenheit des anderen und schließt damit die Zielsetzungen von Verstand und Emotio ein (und nicht aus!) Dadurch kommt es zum "hedonistischen Paradoxon", daß die Bemühung um die Entfaltungsmöglichkeiten anderer zu einer Erhöhung der je eigenen Möglichkeiten führt. Denn je mehr an verantwortlicher Eigenheit andere zu entfalten vermögen, desto mehr Freiheit und Kommunikation steht für den Einzelnen zur Verfügung. Dieses "Gute" der Vernunft läßt sich mithin nicht individuell und inhaltlich, sondern nur funktional angeben. Aber dies ist angesichts der realen Verschiedenheit der Individuen und der notwendigen Abstraktion der Vernunft auf das Allgemeine über dies Individuelle hinaus (!)(11) eine bare Selbstverständlichkeit. [88.] Eine weitere Gefahr, auf die es zu achten gilt, ist der Szientismus. Diese philosophische Auffassung weigert sich, neben den Erkenntnisformen der positiven Wissenschaften andere Weisen der Erkenntnis als gültig zuzulassen, indem sie sowohl die religiöse und theologische Erkenntnis als auch das ethische und ästhetische Wissen in den Bereich der reinen Phantasie verbannt. In der Vergangenheit äußerte sich diese Vorstellung im Positivismus und Neopositivismus, die Aussagen metaphysischen Charakters für sinnlos hielten. Die epistemologische Kritik hat diese Einstellung in Mißkredit gebracht; so ist sie jetzt dabei, im Gewand des Szientismus wiederzuerstehen. In dieser Sicht werden die Werte in einfache Produkte des Gefühls verbannt; die Erkenntnis des Seins wird zurückgestellt, um der reinen Tatsächlichkeit Platz zu machen. Demgegenüber ist sowohl der Szientismus, der vorgibt, die individuellen und gesellschaftlichen Bedingungen des Menschen und damit die einzig richtige Verhaltensweise "wissenschaftlich" für alle ermitteln zu könnnen ebenso unvernünftig wie die relativistische Denkweise. Auch der Szientismus würde in seiner Festgestelltheit auf die Vernunft in einem in Wirklichkeit beliebigen geschichtlichen Zeitpunkt, der damit implizit zum absoluten Höhepunkt der Erkenntnisfähigkeit des Menschen erklärt wird, zu einer ebensolchen Statik führen wie die Hochreligionen, und damit selbst zur Metaphysik – diesmal nicht aus dem Primat des Glaubens heraus, sondern aus dem Primat der Vernunft in ihrem funktionalen Mittelcharakter. [83.] Erforderlich ist eine Philosophie von wahrhaft metaphysischer Tragweite; sie muß imstande sein, das empirisch Gegebene zu transzendieren, um bei ihrer Suche nach der Wahrheit zu etwas Absolutem, Letztem und Grundlegendem zu gelangen. Das "Gute der Vernunft" anzustreben ist eine evidente Selbstverständlichkeit ihrer eigenen Ethik auf Grund der für sie sichtbar gewordenen Wesensgleichheit der Menschen, schafft aber noch keinen Sinn, da damit noch nichts über die Entfaltungsrichtung gesagt ist. Diese muß sich jedes Individuum selbst eröffnen, und genau das macht die Transzendenz aus. Der nämliche Sachverhalt spiegelt sich in der biologischen und kulturellen Evolution; verläuft erstere ungerichtet und sich an den Umständen orientierende, dabei aber "ungewollt" Verhaltens- und Informationsweisen additiv und vertikal adaptierend über den jeweiligen Vorbestand hinaus (Emergenz), vermag sich letztere in der Reflexion eine Richtung selbst zu setzen. Es gibt mithin keine Teleologie innerhalb der Natur, sehr wohl aber innerhalb der menschlichen Existenz. Lebendig-innerlicher Ausdruck dieser Sinnbestrebung ist der Bezug auf das Numinose ("Religion") in der Akzeption dieser Offenheit als Wille zur Transzendenz, funktional äußert sich diese Sinngebung zunächst in den Mythen, den Welterklärungen der verschiedenen Relgionsformen in ihrem kategoriellen Wechsel und schließlich in der Philosophie einschließlich der Auflösung all dieser metaphysischen Hervorbringungen des Menschen. Es geht nicht um die Suche nach einer absoluten Wahrheit, sondern um deren stete Transzendierung als kulturelle Evolution, ganz parallel zur biologischen Evolution: der Weg ist das Ziel. Zum Schluß ein Wort zu jenen Haltungen des aggressiven Atheismus bzs. Agnostizismus, die meist im Namen eines "humanen Pragmatismus" sich vor allem damit beschäftigen, gegen die Religion zu argumentieren. Einerseits verbirgt sich hinter dem "Humanum" eine diffuse Werte-Ethik der Vernunft, die ohne klare Herkunftsbegründung das "Gute" will und den Menschen (und einige Tierarten) ins Zentrum stellt; die Sinn-Dimension wird dabei dann antithetisch geschlossen, indem man auf diejenigen verweist, die angeblich für das Inhumane in der Welt die Verantwortung tragen. Damit wird das metaphysische Denken der Vernunft identifiziert, insbesondere in Form der Hochreligionen. Auf diese Weise transzendiert man jedoch die hergebrachte Metaphysik nicht wirklich, sondern bleibt dialektisch an sie gekettet. Man will aus der funktionalen Vernunft heraus immer noch das gleiche, aber "anders". Christoph Türcke drückt diesen Sachverhalt in seinem Essay "Naivität" wie folgt aus: "Das atheistische Credo ist in gewisser Hinsicht naiver als das theistische: Weniger von Reflexion durchtrieben. Sein Argwohn gegen die Existenz Gottes ist zugleich Arglosigkeit gegen die Reichweite des Metaphysischen. Theologie, die ihm das vorrechnet, hat recht, so unrecht sie mit ihrem eigenen Credo auch haben mag. Zwei Sorten von Naivität stehen sich gegenüber. Die eine glaubt der Aufklärung mit deren eigenen Mitteln ein Schnippchen zu schlagen, die andere glaubt Aufklärung zu sein. Beide wollen auf ihre Weise von der Naivität los – und beide verfallen ihr. Und vor allem: Beide verfehlen das unhintertreibliche Moment von Naivität, das der Vernunft selbst innewohnt. Wo sie sich als unheilbar metaphysisch erweist, weil sie es nicht lassen kann, Konsistenz, Übereinstimmung, Sinn in die Welt zu bringen, verhält sie sich immer auch ein wenig wie ein großes Kind, das mehr will als es je erreichen kann. Das Bedürfnis nach Konsistenz, nach Stimmigkeit, ist insgeheim das Bedürfnis nach einer heilen Welt. Ohne es zu haben, kann Vernunft nicht rückhaltlos aufklären: über die Welt wie über sich selbst. Ohne die blauäugige, durch nichts verbürgte Hoffnung, daß noch nicht aller Tage Abend sei, kann sie den gegenwärtigen Weltzustand nicht auf den Begriff bringen. Seine Zeit in Gedanken zu fassen: dazu muß kritischer Geist genau das sein, was Marx von der Religion sagte: Ausdruck des Elends und Protestation dagegen zugleich. Den religiösen Kinderwunsch noch in seinen verstohlensten Formen als unausrottbares Moment des Denkens aufzuspüren und in Vernunft zu übersetzen: das ist Aufklärung. Der Versuch, der Vernunft alle Naivität ohne Rest auszutreiben, treibt die Vernunft selbst aus."(12) Weil man selbst über diese Art Metaphysik (der Vernunft) hinausgewachsen ist, bestreitet man sie auch anderen, ohne danach zu fragen, ob diese schon ebensoweit gewachsen sind. Auch noch in einer solchen Denkweise wird gespalten, und zwar von seiten der Immanenz her, statt das Metaphysische mit in diese einzubegreifen als ein notwendiges Produkt jener Vernunft, die ohne dieses "Überschießen" ins Metaphysische gar nicht zu haben war. Nicht umsonst sind es meist die enttäuschten Idealisten, die ein ganz besonderes Maß an Angriffslust hören lassen, sehr oft sind es Extheologen, die sich radikal ihrem einstigen Glauben entgegen stellen. Eine solche Antithetik ist aber noch lange keine Überwindung, wenn sie auch notwendig ist als deren Vorstufe. Feuerbach meinte dazu: "Laßt den andern glauben, was er will, aber fordert dafür auch von ihm, daß er dich nicht glauben läßt, was er glaubt. Diese Forderung ist gerecht und billig; aber ungerecht und verwerflich, verwerflicher noch als die Intoleranz des Gläubigen ist die Intoleranz des Aufgeklärten, welcher von den andern ohne Unterschied verlangt, daß sie zwar nicht so glauben, aber so denken, so frei und gescheut sein sollen, wie er selbst. Man muß auch gegen die Unfreiheit und Dummheit tolerant sein." Gefragt ist heute etwas anderes, wenn auch nicht gerade ein "philosophari in Maria", das selbst noch ein Goethe dahin mystifiziert hat, daß uns das "Ewig-Weibliche" hinanzöge. Nur in der Vereinigung von Mann und Frau in gleicher Liebe entsteht ein neues Kind, nur in einer fruchtbaren Kommunikation von These und Antithese in gleicher Bezogenheit wird in der Überwindung auch noch des Vernunftbestandes an Ethik und Metaphysik Neues sichtbar werden, ebenso wie jene die Moralen und Mythen des Verstandes "überholten". Insgesamt jedenfalls scheint mir Wojtyla mit dieser Enzyklika einen Beitrag in jene Richtung der Verständigung geleistet zu haben, einen Beitrag, der an die Grenze dessen geht, was dieser Geisteshaltung ohne Selbstaufgabe möglich ist. Anmerkungen:
(1) DIE ZEIT vom 19. März 1998, S. 55, "Wo ist Gott", von Urs Willmann
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