Deutsche Übersetzung zum englischen Originalartikel aus der Diskussion des Karl Jaspers Forums im Internet
(http://www.mcgill.ca/douglas/fdg/kjf/)
Original-Titel: KARL JASPERS FORUM TA24 (Muller), Response 8 (to Walther's C11)
THE ENCOMPASSING IS SOURCE, NOT LIMIT by Herbert FJ Muller

KARL JASPERS FORUM TA24

Antwort 8 [R8] (zu H. Walther Kommentar 11 [C11])
von Herbert F.J. Muller 17. Mai 2000, versandt 6. Juni 2000
Das Umgreifende ist Quelle, nicht Grenze

ABSTRACT
HW’s Kommentar zeigt eine grundsätzliche Übereinstimmung mit den Feststellungen in TA24, und er liefert hilfreiche zusätzliche Information zum Thema der Begriffsdynamik. In diesr Antwort versuche ich einige Fragen zu klären, die sich auf seinen Begriffsgebrauch beziehen im Vergleich zu meinem Vorschlag. Dies bezieht sich hauptsächlich auf den Begriff des Umgreifenden, und die Relation von Begriffsdynamik zu einer "Arbeitsmetaphysik". Obwohl die Unterschiede einige begriffliche Probleme aufwerfen, verursachen sie keine größeren Diskrepanzen zwischen unseren Auffassungen. Möglicherweise werden einige wichtige Punkte in dieser Antwort nicht aufgegriffen, aber dies kann, falls erwünscht, später geschehen.

[1] HW verfaßte einen gründlichen und geistesverwandten Kommentar zu meinem Text, wofür ich ihm sehr verbunden bin. Ich kann hier nur auf die bedeutsamsten, von ihm angesprochenen Punkte antworten, aber ich denke, daß diese von einer überlegenswerten Relevanz für die Frage der Gehirn-Geist-Beziehung sind.

[2] Er stimmt im Prinzip mit mehrerer meiner Voraussetzungen überein, insbesondere der Ablehnung einer geistunabhängigen Wirklichkeit von "GUW, die auf dem Glauben an eine Dualität von Geist und Materie" basiert (m.E. jedenfalls beinhaltet eine solche Meinung immer eine derartige Dualität). Und zweitens mit der Meinung, daß die Begriffsdynamik einigen Aspekten der Metaphysik und des Umgreifenden zugrundeliegt. Hinsichtlich seines Begriffs "hypothetische Metaphysik": es könnte besser sein, den Werkzeugcharakter zu betonen, der etwa mit "Arbeitsmetaphysik" ausgesprochen wird, aber das mag zum selben Ergebnis kommen, wenn "Hypothese" als Arbeits-Hypothese verstanden wird. "Nur funktionale Grenze zur Transzendenz" sollte vielleicht durch "funktionale Basis" ersetzt werden, weil ich selbst damit hauptsächlich auf den Ursprung der Transzendenz in begrifflichen Eigenschaften hinweisen will.

[3] Eine Bewertungs-Ebene
Seine ergänzenden historischen Anmerkungen zu philosophischen und religiösen Gesichtspunkten sind hilfreich. Sie im Detail zu diskutieren würde viel Raum erfordern, und ich werde dies hier übergehen (dies könnte später geschehen, falls daran Interesse besteht). Er bemerkt, daß eine Metaebene bzw. ein roter Faden bei meinem Überblick der historischen Meinungen vorhanden sein sollte. HW findet solch eine Metaebene in der Reflexion auf die "epigenetisch-kulturelle" Entwicklung. Ich bin ein wenig überrascht über diesen Vorschlag, denn ich hatte mich im Gegenteil darauf bezogen, daß in meiner Präsentation eher zuviele leitende Fragen vorhanden sein könnten als zu wenige, die historische Sicht so womöglich störend. Soweit ich es sehe, ist mein roter Faden das Schicksal des Ursprungs von geistigen Strukturen im Umgreifenden (0-D). Dies war in der antiken Religion erkannt worden, weniger jedoch nach der Entwicklung der Philosophie, und es nahm weiter ab nach dem Mittelalter, als die Idee einer GUW weithin akzeptiert wurde. Möglicherweise würde ein gründlicher Überblick, den ich hier nicht versuchen kann, zeigen, daß HW‘s und meine Meinung in dieser Hinsicht wahrscheinlich kompatibel sind. Die gegenwärtige Differenz mag teilweise daher stammen, daß nach HW‘s Meinung 0-D nicht möglich ist.

[4] [Die Frage nach einer Metaebene wird in <18> wieder gestellt, wo HW seine Sicht mit der von TA24 vergleicht. Er behauptet, daß eine epigenetisch-kulturellen Koevolution ihren Platz findet als Begriffsdynamik im System der Evolution; sonst hätte sie keinen klar definierten Platz. Meine Meinung zur Begriffsdynamik geht aus von Überlegungen, die das allgegenwärtige Vorkommen von GUW-Glauben zu verstehen suchen: dessen Zähigkeit, dessen Tendenz, immer wieder aufzutauchen, sogar in den Schriften solcher, die vorher explizit sich entschieden hatten, ohne einen solchen Glauben auszukommen. Es schien, daß bestimmte Aspekte des Begriffsgebrauchs per se dahinter stehen könnten, und darum sollten einige wenige und einfache Überlegungen zuletzt einige Aspekte von Transzendenz und des Umgreifenden zu verstehen helfen. Man könnte sagen, dies sei ein Beispiel dafür, was HW selbst unter "Evidenz" versteht <51>. Aber die Idee der Begriffsdynamik war, und ist es noch, ganz ad-hoc gedacht und nicht eingebunden in eine größere Theorie (weil es trotzdem von einiger Wichtigkeit schien, wurde es in den Titel des Textes aufgenommen). Es mag wohl lohnend sein, solche Beziehungen zu untersuchen, etwa so, wie dies HW unternimmt, aber für den Moment bin ich hauptsächlich interessiert zu überprüfen, wie hilfreich ein solcher Ansatz in erster Linie ist, und gebrauche ihn in der erwähnten erläuternden Weise sozusagen für das "Management" von GUW. Sollte das für die hiesige Aufgabe nicht genug sein? Die Zähigkeit des traditionellen metaphysischen Denkens mag zuletzt teilweise an dessen Überlebenswert schuld sein (cf R6[7], TA24).]

[5] Konstruktion von Wesenheiten
In <19> unterscheidet HW richtige von falscher Metaphysik, und dies fand ich einigermaßen schwierig zu akzeptieren; "a) Richtige qualitative Bezugserhöhungen durch die Vernunft in der Kommunikation des Seienden als Wesensaufdeckung. b) Phantastische Idealisierungen ... die Ergebnisse der Metaphysik werden, soweit sie einer rechtmäßigen Anwendung der Vernunft entstammen, dem physischen Werden hinzugezählt."

[Meine Hauptfrage: wie kann zwischen richtiger und falscher Metaphysik ohne übertriebene Willkür unterschieden werden? Was sind "die Ergebnisse der Metaphysik", und wie können sie dem "physischen Werden" hinzugezählt werden? Die "Wesensaufdeckung" unterscheidet sich ebenfalls von meinem Verständnis der Metaphysik, was für mich bedeutet: Bedeutung von Begriffen, die von uns geschaffen werden, verschieden von und hinausgehend über die gegenwärtige Erfahrung per se, die keine Strukturen hat außer jenen (z.B. Wahrnehmung und Begriff), die wir benutzen, um mit ihnen umzugehen. Solche Physik ist (ähnlich jedem anderen Wissen) immer Erfahrung plus Begriffe zum Umgang mit dieser Erfahrung, und einschließlich jenes unvermeidlichen GUW-Aspekts der Begriffe, oder besser, jenes als-ob-GUW-Aspekts.]

[HW‘s Begriff "Wesensaufdeckung" weist auf einen GUW-Glauben hin, würde ich denken – wie es Heidegger und Husserl vorgeworfen wird. Um GUW-Verwicklungen zu vermeiden, würde ich es bevorzugen, Begriffe wie "bauen", "schaffen", "definieren", oder "determinieren" im Hinblick auf die Wesenheiten zu gebrauchen anstelle von "Aufdeckung". Was wir hier aufdecken können, sind keine vorfabrizierten Wesenheiten, sondern nur die Begrenzungen der "Tragfähigkeit" (von Glasersfeld) von Begriffen, nachdem wir sie gemacht haben und während wir sie gebrauchen. Heideggers Beharren in späteren Jahren <24>, das "Seyn" nur noch durchgestrichen zu schreiben, scheint dem Verbot in manchen Religionen ähnlich, das Wort "Gott" zu sagen, oder sich von Gott ein Bild zu machen. (Aber, zu meiner Information, nahm er darauf Bezug, daß dieser Meinungswechsel seinem Projekt einer Fundamentalontologie widersprach?) Das Verbot folgt aus der Einsicht – was sich historisch vielleicht öfter auf einer mystischen oder anders intuitiven als auf einer "vernünftigem" Ebene erreignet hat – daß die Quelle des Denkens nicht objektiviert werden kann, und genau das ist es, weshalb es ein Irrtum ist, dies dann sogar objektivieren zu wollen. Diese religiöse Art von Schlußfolgerung ist begrifflich korrekt, solange die vielen wissenschaftlichen Versuche, subjektive Erfahrung zu "GUW-objektivieren", mit oder ohne Gebrauch mathematischer Formulierung, unvermeidlich nicht-funktional sind.]

[HW benutzt folgende Beschreibung, um die Begriffsdynamik zu unterstützen: "Begriffsdynamik schafft ihre eigene und emergente Metaebene (Metaphysik der Vernunft), aus der notwendig neue Werte resultieren." (In meinen Begriffen: mit Glauben – und möglicherweise mit der Tat – gefundene Strukturen können in neuen Bedarf münden, und auch in Richtlinien (Werte), um mit so erweiterter Erfahrung umzugehen. Für mich scheint es so, daß dieser Ursprung von Meinungen und Werten für genügend Material einer "Metaebene" sorgen kann, in dem Sinn, wie bei HW angefragt (s. [3] oben). Der von ihm vorgeschlagene evolutionäre Gesichtspunkt würde dann eher ein erweitertes Merkmal sein als ein fundamentales; dies ist eine sekundäre (objektive, GUW-) Ebene. Ich denke, dies würde mehr zufriedenstellen, weil, wenn ein GUW-Aspekt als Bezugsebene benutzt wird, sich das Konzept ins Gegenteil verkehrt.]

[6] <20-26> präsentieren eine interessante und gründliche Prüfung von "Transzendenz", die in die Unterstützung für eine funktionale Metaphysik mündet. <27> behandelt den Konstruktivismus und fragt, "ob kulturelle Realität vielleicht weniger real sei als natürliche Realität." HW antwortet, daß sie gleich real sind, und beide ebenso hypothetisch, "weil wir einer objektiven letzten Wahrheit unserer Hypothesen nie sicher sein können". (Ich stimme hier überein, und würde hinzufügen, daß konstruierte Realität, in meinem Verständnis, nicht beschränkt ist auf menschliche Schöpfungen wie Kultur, sondern ebenso all-einschließlich (etwa auch der tierischen Erfahrung), weil alle Begriffe und Erfahrungen konstruiert sind, einschließlich solcher von festen Dingen, wie Piaget zeigte. Daher würde ich meinen, daß die Unterscheidung zwischen natürlichen und kulturellen Objekten in der Diskussion des Konstruktivismus nicht relevant ist als epistemologische Methode (Annäherung). Allerdings kann ich nicht für den Konstruktivismus im allgemeinen sprechen, weil soziale, linguistische, physiologische ebenso wie traditionell metaphysische Grundlagen der Realität in der Tat bei einer Anzahl von Konstruktivisten angerufen werden. Dies sind meiner Meinung nach irrtümliche Ziele und Methoden.

[7] Wahrheit ist nicht absolut, sondern verpflichtend.
In dieser Diskussion geht HW davon aus, daß alle Sehweisen irrtümlich sind, die eine absolute Wahrheit proklamieren, und das schließe den Skeptizismus ein, der behauptet, daß die Urteilsenthaltung das einzig Wahre sei. (Logiker mögen entgegenhalten, daß die vorangehende Behauptung ein Besipiel sei für das kretische Lügner-Paradox.. Aber einer 0-abgeleiteten (oder vollständig konstruktivistischen/dekonstruktivistischen) Sicht erscheint dies in einem anderen Licht. Wahrheiten werden nicht gefunden, sondern gemacht, sie sind geistig-natürliche Strukturen, die mit Wahrheitsglauben versehen werden, und die Möglichkeit absoluter Wahrheit ist von Anfang an ausgeschlossen. Die Frage nach einer realen (oder absoluten) Wahrheit kommt gar nicht auf, und HW’s Meinung folgt darin offenbar (s. Gödel). Logische und mathematische Folgerichtigkeit hat nichts mit Absolutheit zu tun, sie befolgen vielmehr Regeln wie in einem Spiel.

[8] In <29-31> versucht HW eine Synthese ausfindig zu machen zwischen Empirismus, Ontologie und Skeptizismus, mit der Richtlinie, daß lebende Aktivität nicht geleitet wird von "Wahrheit", sondern sich vielmehr entlang "Werten" und der "Realität" verhält, die er für die Eigenschaften unserer Welt hält. "Es ist vernünftig, nicht auf einer Wahrheit für alle zu beharren, dies aber unter Durchsetzung des ethischen Grundprinzips, auf diese Weise lassen sich dann auch die Ethik der Vernunft und der Utilitarismus vereinigen..."

[9] In <32> weist er darauf hin, daß "...dieser tiefgreifendste Umsturz innerhalb der Menschheitsgeschichte ... der Schritt vom Verstand zur Vernunft [ist], ... indem der Mensch hier erkennen muß, daß ihm sein eigenes Vermögen Verstand die Welt nicht zeigt, wie sie "wirklich" ist – erst die Zweiheit der Vermögen erzwingt die Frage nach der Richtigkeit zwischen Schein und Sein, und erst damit wird die Richtigkeit der Sehweise als Wahrheit zu einem eigenständigen Wert der Vernunft. Ebenso wie letztere notwendig zum Monotheismus führt, kann es auf die Frage nach der "richtigeren" Weltsicht nur eine Antwort geben, die "Wahrheit". Sie ist als "a-laétheia" dasjenige, was vom Verstand unbemerkt geblieben ist und von der Vernunft ins Unverborgene geholt wird."

[10] [HW unterscheidet zwischen Verstand und Vernunft, hauptsächlich gestützt auf Kant (Anm. 1). Verstand benützt Begriffe, etwa ad-hoc-Begriffe, oder auch von anderen oder von der Religion gestaltete Begriffe, um mit der Erfahrung umzugehen. Naiv könnte man dann die begrifflichen Bezeichnungen als GUW verstehen. Aber die analytische Vernunft, falls wir sie gebrauchen, zeigt uns, daß GUW außerhalb unserer Reichweite ist, mündend in Skeptizismus, der, wenn er gründlich ist, eine Kenntnis von der Realität an sich verleugnen muß. Kant bestätigt meist, daß die Dinge an sich (und das sind Beispiele für GUW!) real seien, "weil die Vernunft dies so sagt"; diese Verteidigung von GUW ist nicht überzeugend, weil (meiner Meinung nach, was mit der des Skepitzismus übereinstimmt) die Vernunft analytisch ist, nicht synthetisch oder zusprechend. In seinen späteren Jahren schlug Kant vor, die Dinge an sich als Fiktionen aufzufassen (s. TA24 [B23] und von Glasersfeld’s C4<6> to TA24).]

[Persönlich teile ich nicht den GUW-Glauben Kants noch in jeder anderen Form, und von HW’s einleitenden Sätzen <2ff> würde ich erwartet haben, daß auch er dieser Meinung ist (es würde helfen, seine Meinung dazu zu kennen). Das "einzig-absolute Wahrheit"-Projekt des Monotheismus kann die Erfahrung vereinheiltichen, aber weil Wahrheit nicht gegeben ist, und nicht jenseits (wie viele behaupten) gefunden wird, tun sie so auf Kosten eines zwangsläufig zentralen Paradoxes des Wahrheitsglaubens) "credo quia absurdum", Tertullian). Der beanspruchte Einfluß des Logos im Monotheismus ist begrenzt: der Bedarf für das Umgreifende (to hen) ist prominent angesprochen, aber die analytische (skeptische, dekonstruktive) Funktion der Vernunft ist ausgeschlossen, weil andererseits der wichtige Anspruch auf absolute Wahrheit nicht aufrecht erhalten werden könnte.– Meiner Meinung nach arbeiten GUW-Glaube-Verständnis und skeptische Vernunft zusammen, wobei sich GUW zur als-ob-GUW verwandelt. Der letztere ist ein Werkzeug, eine Technik, wofür beide gebraucht werden: der eine für die konstruktive (postulierte und erfahrungsüberschreitende) Bedeutung der Begriffe (oder naiv "Verstand"), und die analytische "Vernunft" sagt uns, das seien lediglich Werkzeuge; und so sollte man nicht auf Absolutheiten hereinfallen].

[11] <33-37> "Metaphysik enthält ebensoviel an Realität wie in der kulturellen Tradition enthalten ist, und in der emotionalen Tradition der Tiere ... der genetische Informationspool ist erweitert durch einen Pool der Tradition ... [Aber] sollten wir dann wirklich die natürliche und die kulturelle Tradition für GUW halten, wenn auf der anderen Seite der Gen-Pool etwas "Materiell-Wirkliches" ist?" ... "Auf eine solche Weise mutiert dann schließlich die einstige GUW-"Wahrheit" Platons von der "Idee des Guten" zu einer metaphysischen Hypothese, die im Eingang in die menschliche Tradition Realität wird."

[12] GUW-Glaube (Metaphysik) ist eine Weltsicht, die nicht abhängig ist von Unterscheidungen wie "Gene kontra Kultur". Er ist ein Instrument, welches unkritisch verwendet werden kann wie eine traditionelle GUW (vermutlich für "Realität" oder "Wahrheit" zuständig). Oder in Form einer als-ob-GUW, mit dem Wissen, daß es sich um eine erfahrungsüberschreitende Arbeitshypothese handelt, und in diesem Fall ist es offensichtlich, daß Metaphysik per se weder Wahrheit noch Realität enthält. Wie HW schreibt, eine metaphysische Hypothese wird Wirklichkeit, wenn sie in die menschliche Tradition eingeht, d.h.: Wahrheit und Realität hängen ab von der Akzeptanz geistig-natürlicher Strukturen und ihrem Vorschuß an Glauben ("Arbeits-Glaube", um es noch genauer auszudrücken). Dies setzt, unter anderem, voraus, daß man die Gründe ausgewertet hat (auf verschiedenen Wegen, und in außerordentlich variierendem Grad), warum man eine solche Investition oder Verpflichtung eingehen sollte oder nicht, bis zu welchem Grad, und unter welchen Bedingungen.– Aber die "materielle Wirklichkeit des Gen-Pools" ist ein Rückfall in traditionelles GUW-Denken.]

[13] Keine objektive Subjektivität
[Mein hiesiger hauptsächlicher Versuch soll der Ursache gelten für den Unterschied zwischen (a) dem wichtigen Übereinkommen im Grundprinzip zwischen HW und mir, wie oben angesprochen, und (b) einigen gegensätzlichen Ergebnissen, etwa ausgedrückt in <44> und (14): daß] "vielleicht die Frage nach dem Bewußtsein niemals beantwortet werden kann" (Singer). "In solchem Falle wären wir abhängig von einer hypothetischen Metaphysik." [In meiner Sicht wird Arbeitsmetaphysik überall angewandt, nicht nur auf solchen Gebieten wie dem Studium des Bewußtseins. Es scheint, daß HW’s einleitendes Statement und einiges andere bei ihm aus einer begrifflichen Zweideutigkeit resultiert: Er sieht Objektivität (GUW) zweifach – (i) erstens als menschliches Podukt und (ii) zweitens als ein vorausexistierendes Prior zur Erfahrung, mit bereits strukturierten Formen. Das scheint mir evident in verschiedenen seiner Kommentare. Vielleicht ist es besser, hier den Begriff des Bewußtseins in Ruhe zu lassen, dies deshalb, da er in zu vielen verschiedenen Bedeutungen gebraucht wird. Jedenfalls, "subjektive Erfahrung" kann klar definiert werden: sie ist die notwendige und einzig möglich Pforte zu, sowie ein integraler Bestandteil von jeder Begriffsbildung, jedem Wissen und Vermuten, Fühlen, und sie kann nicht objektiviert oder definiert werden in objektiven Begriffen. Aus diesem Grunde ist vermutlich Singers Meinung irrtümlich, wenn dies als ein genereller Schluß gemeint ist, während es gleichzeitig korrekt ist im Hinblick auf Versuche, subjektive Erfahrung via objetivistischer Reduktion zu klären.

[14] Konstruktion im Umgreifenden
Im Einzelnen, betreffend die 0-Ableitung, und die Konstruktion innerhalb der Erfahrung <38> "Der menschliche Geist ist kein "apeiron", keine "tabula rasa", wie Aristoteles und Locke noch meinten, sondern ein Werkzeug, das in vielerlei Hinsicht begrenzt und abhängig ist von Vorbewertungen." [Das ist ein wichtiger Punkt, der viele Schwierigkeiten verursachen kann.]

[(a) Denken und damit zusammenhängende Aktivitäten können allein Platz greifen, wenn sie strukturiert sind. Selbst einfache Perzeptionen, wie etwa der Geruch, bedürfen vorausgesetzter geistiger Strukturen, die aus rezeptiven Konfigurationen resultieren (etwa der Nasenschleimhaut) und den zugehörigen neuralen und Gehirnverbindungen (ZNS), etc. Eine solche Auffassung geht davon aus, daß Tiere ihre eigene Welt erschaffen (von Uexkuell und andere) im Gegensatz zu HW’s Vermutung, daß sie] "nur begrenzte Ausschnitte des Realen zeigt." [was in dieser Formulierung eine präexistierende und prästrukturierte GUW einschließt:] ("das Wirkliche"), das "gefiltert" sei <38> [ob dies verstanden wird als außerhalb oder innerhalb des Kopfes lokalisiert, ist immateriell].
[(b) Der Geist ist deshalb keine tabula rasa oder apeiron, und was ins Bewußtsein gelangt oder ins Vorbewußte, ist nicht wertfrei, ausgenommen möglicherweise in einigen Zuständen von erweiterter Meditation (womit ich keine eigenhändige Erfahrung habe)].
[(c) Aber die 0-D-Sicht erfordert keine tabula rasa, und keinen Meditationszustand. 0-D, oder apeiron, oder Konstruktion in der unstrukturierten Matrix, meint dieses: alle geistig-natürlichen Strukturen sind geformt, bei Tieren ebensogut wie bei Menschen, in (unwissender angehender Vorerfahrung und in bewußter) angehender Erfahrung. Die objektive physiologische Basis dafür sind Rezeptor und ZNS-Aktivität. Ohne diese Aktivität (im subjektiven ebenso wie im objektiven Sinne) würde es keine Strukturen geben. Strukturen sind deshalb abgeleitet von nicht vorexistierenden oder vorausgeformten Innerhalb- oder Außerhalb-Strukturen (wenn es sie gäbe, würde das GUW einschließen, was unmöglich ist). Und es gibt keine Ausnahme von dieser Regel, auch wenn diese Strukturen sozial übertragen werden. Im letzteren Falle wurden sie original geformt im Geiste eines Individuums, und sie werden als solche oder mit Modifikationen vermittelt. Aber sie können zu verwerfende alte Strukturen ersetzen, die sich als unadäquat erwiesen haben. Wir denken, daß natürliche Strukturen früher da sind als unsere subjektive Erfahrung. Dies ist korrekt in jeder objektiven Meinung, aber diese objektive Meinung ist trotzdem eine Extrapolation einer momentan angehenden Erfahrung.– In dieser Verbindung sollte "Erfahrung heraus aus dem Unbegrenzten" gelesen werden als "Konstruktion innerhalb unbegrenzter Erfahrung".]

[15] Eine interessante Frage ist in <39> berührt:] Ist das apeiron vor oder nach uns? HW vermutet letzteres, weil es uns neue Theorien erlauben (er meint die Relativitätstheorie), die Begrenzungen unserer subjektiven "Filter" zu "transzendieren". [Meiner Meinung nach gilt beides. Die historische Verneinung des Unstrukturierten (des Umgreifenden) in der Wissenschaft war ein prinzipieller Irrtum, trotz des enormen praktischen Erfolges dieses methodischen Schrittes in Verbindung mit den sich entwickelnden Naturwissenschaften. Dies war verbunden mit einem fehlerhaften Glauben an eine primäre (und sekundäre) Subjekt-Objekt-Spaltung, und daher automatisch mit GUW-Glauben verbunden, und daraus ergab sich eine Fragmentierung der Erfahrung. Neuerdings wird es evident, daß dies einer Korrektur bedarf, beides durch Wiedereinschluß des Umgreifenden als der Matrix und indem man den GUW-Glauben funktionalisiert. Dieses Rückholen ist heute, mehr als in der Vergangenheit, wegen begrifflicher Schwierigkeiten notwendig geworden, z.B. in der physischen Theorie der Geist-Gehirn-Fragen, aber dies ist eine grundlegende begriffliche (oder allgemeindenkende) Abwägung, nicht ein primär physikalisches oder psychologisches Problem. Wir müssen befreit werden, nicht so sehr von dem sensorisch-neuralen Systemgrenzen, sondern von den selbstgemachten begrifflichen Zwängen (wobei nicht verleugnet werden soll, daß diese Strukturen für manche Zwecke hilfreich waren und noch heute sind). Eine der Funktionen der neuen Theorien ist es, den Weg für eine solche Befreiung zu finden; etwa können die alten Theorien als begrenzte oder besondere Beispiele der neueren, weiteren, erscheinen. Solche umfassendere Theorien könnten zugleich als spezielle Beispiele innerhalb des Umgreifenden gesehen werden.]

[16] Das Umgreifende ist immer reicher als jede unserer Strukturen sein kann.
[In seiner "Philosophie" (1932) benutzte Jaspers den Begriff des "Umgreifenden" nicht, wie es scheint. Aber später machte er daraus ein zentrales Konzept, so etwa in "Von der Wahrheit" (1948), wo er es definierte (Zweite Einleitung, 3c): "Wir vollziehen den philosophischen Grundgedanken dadurch, dass wir über jedes bestimmte Sein, über jeden noch sichtbaren und dadurch bestimmten Horizont hinausdenken, hin zum Umgreifenden, in dem wir sind, und das wir selber sind. Das Umgreifende ist das, worin alles Sein für uns ist; oder es ist Bedingung, unter der es eigentliches Sein für uns wird. Es ist nicht alles als die Summe des Seins, sondern ist das für uns ungeschlossen bleibende Ganze als der Grund des Seins."]

[17] [Das Umgreifende ist hier der "offene Grund des Seins", "in dem wir sind und das wir selbst sind", oder "die Bedingung, unter der es eigentliches Sein für uns wird". Dies ist in Übereinstimmung mit meinem Gebrauch dieses Begriffes des unstrukturierten Ursprungs oder der Matrix von Begriffsformung. Dies schließt andererseits die Möglichkeit aus, daß Jaspers das Umgreifende als "etwas" oder als eine "Grenze" verstand, die nicht überschritten werden könnte <25-26 und 51b>. Im Gegenteil, er schrieb: "... wir denken jenseits jedes definierten Seins, jenseits jedes noch sichtbaren und deshalb definierten Horizonts, in Richtung auf das Umgreifende ..." Auch ist es kein "bewegender Faktor" (Anm. 12). Das Umgreifende ist eine nicht bestimmte Matrix, zugänglich der Formung, nicht irgendwie vorgeformt, die nicht erreicht werden kann, oder das eine Grenze setzt, die nicht gebrochen werden kann. Es ist auch der begriffliche (oder genauer: vorbegriffliche) Aspekt von religiöser Erfahrung.]

[18] Fiktion, Fakten, und Realität
In <41> behandelt HW die Begriffe von Realität und Fiktion. Meiner Meinung nach ist seine Darstellung zweideutig. Z.B. schreibt er, daß ein Atom keine Fiktion ist, weil wir Atomenergie nutzen können. Der Begrff "Fiktion" ist hier gebraucht in dem Sinn (a) eines Glaubens an Seiendheiten (Atome), die von einigen gedacht werden, bloße Vorstellungen zu sein (obwohl später gezeigt wurde, daß sie tatsächlich existieren, indem wir im Gebrauch ihre Effekte nutzen (üblicherweise als GUW, aber es kann auch als-ob-GUW gemeint sein). Daher sagt er, Atome seien keine Fiktionen, da wir einiges mit ihnen anstellen können. Dies Meinung unterscheidet sich von der, die ich in meinem Text verwendet habe: (b) "Fiktion" in Vico’s Sinn von "menschengemachten Werkzeugen", "verum est factum", solche wie Zahlen, Dreiecke, Begriffe einschl. der Dinge an sich (TA24 [23, 40-42, 51-53, 61, 67]) Da ist einige Übereinstimmung zwischen diesen beiden Meinungen, etwa im Hinblick auf Fliegende Untertassen, die (b) in der Volksmeinung vorhanden sind und (a) GUW-nicht-existierend wie physische Objekte.]

[19] [Prinzipiell wäre es besser, "Fiktion" im Sinne (b) von "Faktum", wie Vico tat, zu verwenden denn als "Fiktion" (facere vs fingere). Aber dies wird verhindert durch den üblichen – und ein wenig eigenartigen – Gebrauch von "Faktum" (Tatsache) namentlich als "von der Natur gemacht" – GUW – eher als bei uns. Es würde schwierig sein, diesen gemeinen Mißverstand zu ändern.]

[20] [Die Frage nach HW’s Position stellt sich wiederum bei seinem Statement in <41>:] "Unsere Fähigkeit zur Verifikation von Hypothesen mittels Empirie der Sinne und des Verstandes zeigt, daß unsere Fiktionen mehr sind als bloßes "Als Ob". Würden sie nicht mit der Wirklichkeit zumindest insoweit übereinstimmen, daß sie in ihrer Funktion die angestrebten Werte und Zwecke liefern, so würden wir mit diesen Fiktionen in der Realität scheitern und es gäbe die Menschen längst nicht mehr. [Hier verwendet er eine GUW-Sicht der Realität, selbst wenn er sich auf Popper bezieht, der (meiner Auffassung nach) gezeigt hat, daß die Verifikation von Hypothesen nicht möglich ist. Was also könnte HW meinen, wenn er schreibt, daß unsere Fiktionen oder Hypothesen "müssen übereinstimmen mit der Realität?" Er fordert sogar, daß sie mit der Realität übereinstimmen müssen, um ihre Funktionen auszuüben. Diese halte ich für einen irrtümlichen Schluß. Das geistige (geist-natürliche) Werkzeug sagt nur, daß sie wirken, und das impliziert nichts von GUW und GUW-Glauben. Daher sind meiner Meinung nach "nützlich", oder von Glaserfelds "gangbar" hilfreichere Begriffe als "nachweisbar". Das "Als-Ob", im Gegensatz dazu, hat zu tun mit der GUW-Vermutung, nicht mit der praktischen Brauchbarkeit von geistigen Werkzeugen wie Begriffen oder Hypothesen.

[21] Was ist zuerst?
<42> "Das Subjekt ist in einer geschichtlichen und evolutionären Welt grundsätzlich das Erste; es ist aber keineswegs ein in freier Willkür schwebender menschlicher Geist, der damit zum Ausdruck kommt (und eben auch keine 0D-Möglichkeit), vielmehr trägt bereits dieses Subjekt vielschichtige Welthaftigkeit in sich, indem sich der Geist des Menschen und alle ihn vorbegründenden Vermögen entlang dieser ihnen vorausliegenden (und damit jeweils gleichzeitig hervorgebrachten) Umwelt entwickelt haben."

[Wenn ich dies korrekt verstehe, will HW damit sagen, daß, selbst wenn die subjektive Erfahrung das erste sei, GUW noch viel früher sei, und innerhalb des Subjekts, damit gleichzeitig hervorgebracht. Im Falle, daß diese Auffassung falsch ist, wäre ich für eine Aufklärung dankbar. Gegenwärtig jedenfalls halte ich das für widersprüchlich, wahrscheinlich hervorgegangen aus einem Festhalten am Wunsch nach GUW (trotz der Bereitschaft, die Erfahrung als das frühere zu sehen). Diese Position wird für mich nicht klarer durch Anm. 3. Wie ich in TA24 erwähnte, gründen Versuche, GUW (d.i. traditionelle Metaphysik) zu verteidigen, in einem Mangel an Klarheit: einfach weil GUW nicht verteidigt werden kann. Meiner Meinung nach ist es hilfreicher, die geistig-welthafte Beziehung zu verstehen als Ergebnis von Aktivität von strukturschaffender Selbst-und-Welt mit geistig-natürlichen Strukturen. Dies geschieht inmitten der Grenzen der Lebensfähigkeit von geschaffenen geistigen Instrumenten, weil diese auf Grenzen stoßen beim Instrumentengebrauch. Man bestimmt die funktionellen Grenzen eines Autos beim Fahren.

[22] [Ein hauptsächliches begriffliches Problem ist vielleicht der Unterschied zwischen (a) der Gegebenheit von Erfahrung durch sich selbst, und (b) der Verwicklung des Subjekts in alles Strukturelle, ohne Ausnahme, von geistig-natürlicher Erfahrung (einschließlich nicht nur der Begriffe, sondern auch elementare Formen wie Gestalt, Geruch, Tastsinn, Schmerz). In anderen Worten: obwohl Erfahrung nicht unsere Erfindung ist, und es auch kein solches Ding wie einen tabula-rasa-Geist gibt (ausgenommen vielleicht in einigen Formen von Meditation), sind alle unsere geistigen Strukturen unsere eigenen Produkte (was ebenso gilt für die tierlichen Strukturen). Diese Strukturen können nicht abgeleitet werden aus einer irgendwie vorstrukturierten (inneren oder äußeren) GUW. Auch sind sie stets im Versuch, ihre Tragfähigkeit und Brauchbarkeit zu testen (s. a. HW’s <2> und [14] oben). Dies, und nicht ein freischwebender oder abgetrennter menschlicher Geist (was eigentlich hinweisen würde auf eine primäre Subjekt-Objekt-Spaltung ebenso wie auf GUW-Glauben), ist gemeint bei 0-D. Und 0-D eliminiert den Gebrauch von GUW-Glauben.]

[23] <43> "Das Problem ist evident, daß das menschliche Subjekt der Realität eine "Objektivität" zuschreibt, die seinen eigenen Einblick übersteigt, und die er ihr soeben verliehen hat in der Entdeckung der "Wesenheit". Es ist dies der alte Glaube, in dem Menschen das erhöhen, was sie außerhalb ihrer selbst angesiedelt haben (GUW) ... das Objektive ist in verschiedener Hinsicht ein Teil des Subjekts, die Kommunikation der Subjekte erzeugt Realität, und niemals eine "vorgegebene" Objektivität. Die Natur selbst ist ebenso wie ihr Teil Mensch in der Rolle des sich selbst überraschenden Zauberlehrlings – wir sollten uns bewußt sein, daß kein "großer Meister" existiert, der uns zur Seite stehen könnte, heiße man diesen "Gott" oder "Objektivität einer vereinheitlichten Weltformel". [Dies ist eher meine eigene Formulierung als was HW schrieb in <42>, oder <42> und <43> würde noch miteinander angeglichen werden müssen.]

[24] Subjekt und Welt
<44> "Nicht umsonst hat es sich inzwischen herumgesprochen, daß jeder Mensch sein eigenes Universum im Kopf trägt – wobei es zunächst verwundern könnte, wie unter diesen Umständen eine intersubjektive Vermittlung überhaupt möglich ist ... die Basis für jedes Subjekt ist die gleiche objektive Welthaftigkeit ... Vielleicht kann die Frage, was Bewußtsein ist, niemals endgültig geklärt werden (14). In solch einem Fall hängen wir notwendig ab von einer hypothetischen Metaphysik, wenn wir uns selbst verstehen wollen."<45> "Daraus allerdings wie in [66] zu folgern, das wissenschaftliche Studium des Bewußtseins sei ein begrifflicher Selbstwiderspruch, weil eine solche "objektive" Betrachtung die fortgesetzte subjektive Erfahrung nicht mit einschließe, scheint mir zu weit zu gehen."

[25] [Obwohl HW übereinstimmt, daß Objektivität von Subjekten gemacht wird <43>, schreibt er dennoch, daß eine objektive Welt "vorgegeben" sei, offenbar meinend, daß die Realität irgendwie vorstrukturiert sei. Darin mag sich die nämliche Zweideutigkeit spiegeln wie oben diskutiert, kann aber vielleicht geklärt werden bei weiterer Diskussion; gegenwärtig erscheint das als GUW-Glaube. "Wissenschaftliches Studium des Bewußtseins" ist möglich, erfordert aber darüber hinausgehende Objektivität, weil Objektivität im Verhältnis zur subjektiven Erfahrung sekundär ist (d.h., in ihr begegnet). Das praktische Problem ist gegenwärtig, daß viele Wissenschaftler, die mit dieser Frage umzugehen suchen, nicht über eine vermutete primäre Objektivität hinausgehen. Und HW selbst diskutiert objektive neuro-physiologische und bezogene Studien <45> zur Unsterstützung seiner Meinung, daß Subjektivität wissenschaftlich studiert werden kann, aber er geht nicht darüber hinaus, ausgenommen, daß da eine sprachliche Doppeltheit sei <46>. Meiner Meinung nach ist das jedenfalls keine sprachliche Frage, sondern betrifft die Priorität der Erfahrung (eine mehr literarische Präzedenz, weil dies früher ist) über Strukturen, einschl. Sprach-Strukturen.]

[26] <47> "... das Ich-Zentrum ist einerseits eine Fiktion ... aber gleichzeitig ... ähnlich dem Massezentrum eines Sterns ... sehr real." <48> " ... wir können uns selbst ebensowenig erkennen wie das ‚Ding an sich‘ ..." [Die Frage, wie weit wir uns selbst oder das Ding an sich verstehen können ist einigermaßen irreführend, weil es einmal mehr als GUW-Glaube erscheint. Wir haben uns selbst konstruiert wie wir ebenso unsere Welt konstruieren. Wie weit wir uns dessen bewußt sind oder nicht <48> , ist wichtig, aber keine grundlegende Frage. Weiter ist die Frage nach Fiktionen oder Hypothesen nicht begrenzt mit sicheren Begriffen wie Selbst, oder Ding an sich. Dies trifft auf alle Begriffe zu, und allgemein auf geistige Strukturen; all diese sind Werkzeuge von verschiedener Nützlichkeit. Daß wir Erfahrung strukturieren, macht diese oder die Strukturen nicht weniger real. Andererseits, traditioneller GUW-Glaube ist teilweise ein Versuch dieser Situation zu entkommen, durch Wegschieben der Realitätsverantwortlichkeit von uns nach außerhalb (etwa an die Natur, Gott, GU-Realität im allgemeinen, s. HW’s <43>)].

[27] Rationale Erkenntnis?
Das "menschliche rationale Bewußtsein" <49> ist "Bewußtsein von Etwas" oder von "Objekt-Konstellationen". [Dies würde unterscheiden zwischen dem Bewußtsein von Tieren zum Umfang, in dem Menschen die Objekt-Strukturen als Geist-unabhängig sehen können; Tiere haben keine Gelegenheit, diesen Fehler zu machen, weil sie keine Begriffe bilden über ihr eigenes Leben hinweg. Dann ist da selbstverständlich die Frage nach dem analytischen Verstand, der Reflexion, oder Vernunft, die ihren naiven GUW-Irrtum auflösen kann ([10] oben). Daher ist menschliches Bewußtsein mehr ähnlich naivem GUW-Glauben als rationalem Skeptizismus. Positives Wissen ist vorausgesetzt. Rationales Denken ist analytisch und läßt solches Wissen verschwinden, wenn von letzterem vermutet wird, mehr zu sein als Arbeitsmetaphysik.]

[28] "Rezeption und Reflexion" oder "Lernen und Verstehen (Erkennen)" <50> [sind potentiell mißleitende Unterscheidungen, weil diese Begriffe auf Unterschiede zwischen den beiden weisen könnten, fundamentaler zu sein als sie wirklich sind (s. auch [10] oben). In beiden Fällen werden Strukturen angenommen, etwa als real, oder hypothetisch. Der Unterschied liegt in der gesamten Integration, d.h., die zweite Phase der Reflexion integriert die mehr beschreibenden Strukturen der ersten Phase (Rezeption) in eine umfassendere. Etwa könnte man ein Skelett finden und es als Fossil erkennen, und dann kann es mit weiterem Aufwand einer bestimmten Klasse von Lebewesen zugeordnet werden. Aber schon der erste Schritt erfordert allerdings erlernte Erfahrung mit Integration, jenseits des auslösenden visuellen Aktes. Und gerade die elementare Objekt-Erfassung wird früh im Leben erworben (Piaget).]

[29] [HW betont die neuronalen Prozesse, die für Erfahrung notwendig sind, etwa für Emotionen <50>; für die psychophysiologische Untersuchung wurde dies von Bedeutung in den letzten Jahrzehnten. Aber Erfahrung und ihre Psychologie sollte unterschieden werden, weil Wissen über Gehirnaktivität später kommt als die Erfahrung an sich, deren Teil sie ist, und Wissen über Psychologie kann Erfahrungswissen nicht ersetzen (dies wäre ein Versuch zur unmöglichen objektivistischen Reduktion der Subjektivität)].

[30] MYSTICISMUS
[Mysticismus wird als eine "Einung von Subjekt und Objekt" bezeichnet <51>. [Von der 0-D-Sicht her ist diese allgemeine Meinung eine Umkehrung von dem, was sich ereignet. Die Subjekt/Objekt-Spaltung ist selbst ein strukturelles Ergebnis, und daher keine primäre, sondern eine sekundäre Erfahrung. Wenn man die begriffliche Basis erreichen will, muß man zurückgehen auf das Stadium vor der Spaltung. Mystik ist etwas Frühes, noch nahe bei der Matrix des unstrukturierten Ursprungs (des Umgreifenden), vielmehr ein Schritt vorwärts "jenseits" von Subjekt und Objekt. Jedenfalls, das "Einungs"-Konzept ist insoweit hilfreich, als die Technik solchen Typs benutzt werden kann als Rückgang auf den Ursprung, für diejenigen, die es als eine sekundäre unio mystica sehen].

[31] <52a> "Der ansonsten in TA24 durchgehaltene Begriffsgehalt beschreibt eine funktionale Grenze, die durch transzendierende Begriffe und umgreifende Erfahrung weiter hinausgeschoben werden kann ... [Das sagte ich nicht, vielmehr: Begriffe überschreiten immer die Erfahrung – keine Frage von einer Grenze ist involviert, ausgenommen dies, daß Begriffe dazu neigen, Grenzen (Definitionen) hervorzubringen, aber (mit ihrer definierenden Bedeutung) überschreiten Begriffe die gegebene sich ereignende Erfahrung. Und Erfahrung umgreift immer Begriffe, die benutzt werden, um damit umzugehen. Dies gründet nicht auf einer hypothetischen Metaphysik, sondern: Metaphysik (GUW und als-ob-GUW) sind Folgen der erfahrungsüberschreitenden Eigenschaft der Begriffe. Mystische Erfahrung ist kompatibel mit dieser Sicht; einige Aspekte davon sind nicht leicht auszudrücken in begrifflicher Form, aber einige erreichen diesen Standpunkt, wie es sich bei den mystischen Autoren zeigt.]

[32] <52b-c> "Wie sollte es gedacht werden, daß Mystik einen Kontakt zum Umgreifenden finden kann, das definiert ist als eine bloß funktionale Grenze?" [Das Beharren auf einer "Grenze" als Definition des Umgreifenden ist in meiner Sicht fehlleitend (s.o.). Das Umgreifende ist, wie ich es verstehe, die unstrukturierte Matrix (und eigentlich grenzenlos), der tragende Grund, unter anderen Dingen, etwa für die Bildung von Begriffen. Dies ist so nicht nur in einem religiösen Kontext, sondern überall einschließlich Geschäftswelt und Wissen: neue Ideen kristallisieren sich mehr oder weniger schnell, oft in einem etwas nebelhaften oder benommenen Zustand, nach einer Inkubationsperiode, und oft nach Perioden von Frustrationen. Es mag, aber muß nicht sein, ein Unterschied zwischen Mystik und werkzeughaften "konkreten" Gedanken. Und in der Tat lassen Beispiele von wissenschaftlichen Durchbrüchen vermuten, daß der Kontakt mit dieser Art von unstrukturierter Matrix essentiell ist für neue Entwicklungen. Und dieser Typ von Überlegung wird, denke ich, auch HW’s Frage in <53> beantworten, die Frage nach einem unvoreingenommenen Urteil zu Ereignissen, die aus dem Umgreifenden stammen: wissenschaftlicher Rückblick auf Ergebnisse, geschäftliche Konkurrenz etc. Für religiöse Glaubensformen ist dies nicht möglich, und so gibt es konsequenterweise verschiedene rivalisierende Systeme.]

"Mystische Erfahrung mutet allen Nichtmystikern zu, an eine individuelle subjektive Erfahrung zu glauben." <52c> [Mystische Erfahrung ist eine extreme Form aus einem Kontinuum der Erfahrung. Der wichtige Punkt ist: wir errichten geistige Strukturen innerhalb der unstrukturierten Erfahrung. Das ist nicht nur so bei den Mystikern, sondern bei allen. Glaube wird investiert nach Auswertung der Strukturen, die so errichtet sind. Blinder Glaube an eine Reihe/Anordnung (Set) von Begriffen ist ein spezieller Fall in der religiösen (und ähnlichen, etwa szientistischen) Erfahrung, der nicht auf alle angewandt werden kann, wie HW schreibt. Jedenfalls, sogar solch mystische Erfahrung ist nicht völlig anders als andere. Es sollte möglich sein, sie genauso zu prüfen wie andere geistige Aktivitäten <53>. Was meint, daß ich Mystik nicht als eine besondere Erkenntnisweise bevorzuge, sondern vielmehr daß man zur Kenntnis nehmen sollte, daß diese einen Bezug dazu hat, was jeder jeden Tag tut.]

I thank Helmut Walther for his stimulating commentary, and hope for further discussion.

------------------------ Herbert FJ Muller e-mail hmller@po-box.mcgill.ca

Zurück zum Seitenanfang Zurück zur Jaspers-Seite Zurück zur Startseite